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Subject: WG: Referat bei TEAM-Diskussion
Date: Mon, 3 Apr 2006 14:07:15 +0200

 
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Parteder Franz
Gesendet: Montag, 3. April 2006 11:51
Betreff: Referat bei TEAM-Diskussion

Liebe GenossInnen, liebe Freunde!

Einige Teilnehmer an der Podiumsdiskussion am Rande des TEAM-Treffens haben mich gebeten, meinen Beitrag zu versenden.

Das geschieht hiermit.

F. St.P.

 

Franz Stephan Parteder

1. April 2006

Die EU kommt uns zu teuer

Internationalismus und EU-Kritik

 

Ein Theaterstück des österreichischen Dichters Johann Nestroy trägt den Titel: "Zu ebener Erde und im ersten Stock". Dieser Titel trifft auch auf die Unterschiede zwischen der Haltung der Bevölkerungsmehrheit in Österreich und jener der politischen Klasse zur EU zu.

In Österreich erleben wir während der Monate der EU-Präsidentschaft zwei Phänomene. In den lichten Höhen der großen Politik gibt es auf Empfängen, Tagungen und informellen EU-Gipfeln sehr viele große Worte über das angebliche Friedensprojekt EU, über gemeinsame europäische Werte und dergleichen. Zu ebener Erde müssen selbst die von den EU-Institutionen beauftragten Meinungsforscher feststellen, dass die Ablehnung der Europäischen Union in der österreichischen Bevölkerung einen neuen Höchststand erreicht hat. Fast ein Drittel der Befragten kann sich sogar den Austritt unseres Landes als reale Möglichkeit vorstellen.

Zu ebener Erde spürt man nämlich die Auswirkungen der gesellschaftlichen Entwicklung ganz deutlich, die durch Entscheidungen in Brüssel beschleunigt und verschärft werden, im ersten Stock ist man jetzt außer sich über die rückständige Bevölkerung. Deshalb hat man eine Werbekampagne im Fernsehen gestartet, in dem EU-Gegner als hinterwäldlerische engstirnige Tölpel und als Nationalisten dargestellt werden, die nicht begreifen, welchen Segen die Europäische Union gerade für Mehrheit der Bevölkerung bringen würde.

Die steirische KPÖ fasst ihre soziale Kritik an der EU mit dem Schlagwort "Die EU kommt uns zu teuer" zusammen. Im ersten Stock der heimischen Politik und auch von manchen Linken, vor allem von den Grünen, werden wir deshalb als hemmungslose Populisten bezeichnet, welche den Internationalismus zugunsten eines – und die mit der nun folgenden Bezeichnung verbundenen Konnotationen sind von unseren Kritikern beabsichtigt – "nationalen Sozialismus" aufgeben würden.

Wir halten es hingegen mit den Klassikern unserer Bewegung. Wir schauen den ProtagonistInnen der EU nicht auf den Mund, wenn sie ihre großen Worte sprechen. Wir schauen ihnen auf die Finger. Und wir rechnen jeden einzelnen Posten nach. Wer gewinnt? Wer verliert? Und wenn bei der Liberalisierung der öffentlichen Dienste die großen transnationalen Konzerne gewinnen, die Bevölkerung, die Beschäftigten und die Versorgungssicherheit aber verlieren, dann sprechen wir das aus. Wenn die geplante Dienstleistungsrichtlinie das Sozialdumping beschleunigt sowie Löhne und Standards in Österreich verschlechtert, dann sagen wir das den Leuten. Und wenn der Transitverkehr durch Österreich die Umwelt entscheidend schädigt, dann bekräftigen wir: Die EU kommt uns zu teuer.

Wer die Entwicklung vom Standpunkt der arbeitenden Menschen analysieren will, wer sich damit der Instrumente des Marxismus bedient, muss zu diesem Schluss kommen. Es ist das Gegenteil eines engstirnigen Nationalismus, wenn wir das auch aussprechen. Die EU und ihre Entwicklung zu einem supranationalen Superstaat ist für die Mehrheit der Bevölkerung in allen Mitgliedsstaaten negativ.

Auf unserem Kontinent ist die Europäische Union das Instrument zur Durchsetzung der Kapitaldominanz, zum Zurückdrängen der Arbeiterbewegung und der demokratischen Rechte und zum Aufbau Europas als militärischer Supermacht. Die Freiheit des Kapitals ist das übergeordnete Prinzip ihrer Verträge: Deregulierung, Steuersenkungen, Privatisierung und die Abschaffung von Handelshindernissen (wie dem Transitvertrag) haben Priorität, während soziale Sicherheit, Umweltschutz oder Arbeitsrecht als Probleme betrachtet werden, weil sie die Freiheit des Kapitals einschränken könnten.
Die EU baut Mauern gegen den Rest der Welt und will gleichzeitig in Zusammenarbeit und Konkurrenz mit den USA weltweit militärisch intervenieren. Ihr Ausbau zur Supermacht schränkt die demokratischen Rechte der Bevölkerung in den Mitgliedsländern ein. Die EU ist kein Instrument zur "Überwindung der Nationalstaaten", sondern zur "Überwindung nationalstaatlicher Errungenschaften", indem strukturell in allen Bereichen ein "Dumping" nach unten ausgelöst wird. Die EU entwickelt sich zudem zu einer Hegemonialordnung, welche die großen Nationalstaaten gegenüber den kleinen privilegiert ("Hierarchisierung"), um global ein militaristisches und imperialistisches Programm zu verfolgen.


Die bestimmenden Kräfte in Österreich (das österreichische Großkapital) wollen bei diesem Kurs mitmachen und davon profitieren– vor allem in den Ländern Ost- und Südosteuropas. Der Linzer Historiker Dr. Hans Hautmann hat darauf hingewiesen. Er sagt: "Mit dem EU-Beitritt und der EU-Osterweiterung will man jetzt wieder dort anknüpfen, wo der Faden gerissen ist, an jenen Zustand vor dem Ersten Weltkrieg, als die Führungsschichten des Habsburgerreiches im imperialistischen Konkurrenzkampf erfolgreich mitmischten, expandierten, Einflusssphären hatten, Machtpositionen in Mittel- und Südosteuropa besaßen. Die damit verbundenen Gefahren möglicher Verstrickung in Konflikte, auch kriegerischer Art, kalkuliert man kaltblütig ein in der Gewissheit, als EU-Mitglied nicht nur sicherheitspolitisch Rückendeckung zu haben, sondern mehr: als Bestandteil des EU-Imperialismus auch durch Druck und Gewaltdrohung erneute, verlockende Möglichkeiten für ökonomische Expansion zu besitzen."

Die Rechnung dafür sollen die arbeitenden Menschen zahlen. Österreich hatte seit der Befreiung 1945, seit dem Staatsvertrag 1955 und seit seiner Erklärung des Status der immerwährenden Neutralität eine positive soziale Entwicklung genommen. Es verfügte über einen hohen Anteil an verstaatlichten Industriebetrieben und Banken, die Energiewirtschaft ist noch immer mehrheitlich nationalisiert. Durch die aktive Neutralitätspolitik hatte es Ansehen in der Weltgemeinschaft.

Das alles wurde durch den Beitritt zur EU zurückgenommen. Alle Statistiken zeigen, dass der Anteil der Lohnsumme sinkt, dass die Unternehmergewinne rasant steigen. Heuer erwartet man für die größten Kapitalgesellschaften eine Gewinn von insgesamt 8 Milliarden Euro. Sozialleistungen werden (ganz im Sinne der Lissabon-Strategie der EU) zurückgefahren.

Gleichzeitig wird ein Großteil der Gewinne österreichischer Unternehmen bereits in Ost- und Südosteuropa erzielt.

Zu ebener Erde - um mit Nestroy zu sprechen – müssen die Menschen feststellen, dass sie von dieser Entwicklung nicht profitieren, mehr noch – sie müssen sehen, wie die Unsicherheit ihrer Existenz immer stärker wird.

Deshalb kommt es zur Ablehnung der EU und ihrer Erweiterung durch Mehrheiten der österreichischen Bevölkerung. Das Nein zur EU-Verfassung wäre bei uns noch stärker gewesen als in Frankreich oder in den Niederlanden. Wir durften aber nicht abstimmen.

In dieser Situation dürfen die Linken in Österreich nicht versuchen, zu rettenden Ärzten am Krankenbett der EU werden. Wir müssen uns fragen: Ist es im Interesse der ArbeiterInnenklasse und der Mehrheit der österreichischen Bevölkerung, dass dieses Europa der Konzerne und der Generäle gestärkt wird? Sollen wir uns den Kopf über die Ausgestaltung eines sozialen Europa zerbrechen, das auf dem Boden dieser EU niemals entstehen kann? Auf diese Frage antwortet die steirische KPÖ mit Nein.

Wir brauchen keine bessere supranationale EU-Verfassung als die von den Völkern abgelehnte, sondern überhaupt keine. Deshalb halte ich es für nicht sehr sinnvoll, beispielsweise eine Charta für ein anderes Europa zu erarbeiten, in die man alles hineinschreibt, was man sich wünscht, solange man die EU nicht grundsätzlich in Frage stellt.

Die Volkssouveränität, welche sich in gewählten Versammlungen ausdrückt, hat sich historisch bei uns mit den Nationalstaaten herausgebildet.
Der imperialistische Grundcharakter der EU-Konstruktion macht jede Erwartung illusorisch, dass die Europäische Union ohne grundlegenden Umbruch in ihren gesellschaftlichen Machtverhältnissen zu einem für Frieden, Demokratie und gesellschaftlichen Fortschritt positiven Gegenpol werden könnte.
Verteidigung der Demokratie bedeutet deshalb heute auch die Verteidigung des Rechts auf nationale Selbstbestimmung, eine Verteidigung, die sich von Nationalismus oder Isolierung abgrenzen muss. Das erhöht auch die Bedeutung des Eintretens für die Neutralität Österreichs, gegen die Verfassung der EU und gegen die EU-Armee.
Ein soziales Europa wird nicht zu erreichen sein, ohne dass die wirtschaftliche und politische Macht der Banken und Konzerne zunächst zurückgedrängt und beschränkt, später ganz überwunden wird.

Ein österreichischer Jungsozialist hat in einem interessanten Aufsatz über strategische Implikationen des antimonopolistischen Weges auf Folgendes hingewiesen: "Es ist kein Geheimnis, dass eine antimonopolistische Bewegung gegenwärtig, d.h. unter den Bedingungen der "neoliberalen" Neuentfaltung des Imperialismus, von einer ausgesprochenen Defensivposition auszugehen hat. Sie führt zunächst einen Abwehrkampf gegen weitere repressive Maßnahmen des Monopolkapitals."

Wir müssen versuchen, Sand im Getriebe der EU zu sein und zu diesem Zweck in Österreich und EU-weit möglichst breite Bündnisse, Aktionseinheiten und Bewegungen für konkrete Ziele zu entwickeln, wie dies die Aktionen der Dockarbeiter exemplarisch gezeigt hat.

Auf diesem Weg lauern viele Fallen. Wir sollten uns immer an das negative Beispiel der Sozialdemokratie erinnern, die ihren Frieden mit den gesellschaftlichen Verhältnissen gemacht hat. Und wir sollten nicht vergessen, dass gerade die Sozialdemokratie die Meisterin einer Verbindung der linken Phrase mit rechter, prokapitalistischer Politik war und ist.

Deshalb sollten wir alarmiert sein, wenn auch in der Linken versucht wird, die konsequenten Kräfte der ArbeiterInnenbewegung unter dem Schlagwort des Internationalismus auf ein EU-konformes Verhalten festzulegen. Dabei wird gesagt, dass viele Probleme nicht mehr im nationalen Rahmen zu lösen sind. Das stimmt. Aber sind sie im Rahmen zu lösen, den die EU vorgibt? Sicherlich noch viel weniger.

Internationalismus bedeutet, die gemeinsamen Interessen der Mehrheit der Bevölkerung in allen Ländern der EU zu erkennen und in gemeinsamen Aktionen zu bündeln. Internationalismus bedeutet eine scharfe und deutliche Ablehnung des Eurozentrismus, er bedeutet antiimperialistische Solidarität. Diesen Internationalismus kann man in einer Gruppierung, die sich auf die Schaffung eines "europäischen Bewusstseins" verpflichtet hat, nicht erreichen.

Und wir dürfen Folgendes nicht vergessen: "Die Internationalisierung ist eine objektive Tendenz, manche Probleme sind sogar nur im globalen Rahmen zu lösen. Die Widersprüche der Gesellschaft wirken aber auf konkrete Menschen. Diese konkreten Menschen sind von kritischen Bewegungen zuerst einmal nicht über die großen Medien anzusprechen, sondern dort, wo sie leben. (...) Unser Kurs auf die Basis ist eben kein pragmatisches Weiterwurschteln, sondern eine bewusste politische Entscheidung". (LK, 1991)

Besagter Jungsozialist hat im oben erwähnten Aufsatz versucht, in allgemeinster Form unsere Aufgaben zu umreißen:

"Im Allgemeinen besteht die antimonopolistische Offensive darin, in ökonomisch-sozialer Hinsicht die Allmacht der Monopole einzuschränken, sie zurückzudrängen und schließlich das monopolkapitalistische Eigentum in gesellschaftliches Eigentum zu verwandeln. In politischer Hinsicht startet die antimonopolistische Bewegung im Widerstand gegen den Demokratieabbau - und konkret im staatsmonopolistischen Kapitalismus und erstrecht bezüglich der EU im Kampf gegen die Aushöhlung oder gar Aufhebung selbst der repräsentativen Demokratie zugunsten der stetigen Stärkung der Exekutive."

Die EU kommt allen antimonopolistischen Kräften in unserem Land und in Europa zu teuer, im wörtlichen und im übertragenen Sinn. Ein antimonopolistische Bündnis schließt meiner Meinung nach auch bürgerlich-demokratische Kräfte ein. Deshalb halte ich die Zusammenarbeit mit TEAM für so wichtig. Internationalismus schließt für mich auch die Kooperation mit konsequent EU-kritischen Kräften in anderen Ländern ein, die sich nicht auf den Marxismus und auf die verschiedenen Strömungen der ArbeiterInnenbewegung beziehen.

Ich hoffe, Ihnen unsere Haltung dargelegt zu haben und wünsche Ihrer Tagung noch einen guten Verlauf.