hallo liebe Genossen und Genossinnen,
da niemand auf kurtos textvorschlag reagiert hat mach ich das, eh nur kurz: der holloway hat keine ahnung über das funktionieren des kapitalismus. Falls es jemand interessiert und nur dann (will ja nicht mehr nerven), dann kann ich das an einigen stellen nachweisen. Das ist idealistischer revolutionärer voluntarismus im sinne eines sich etwas ganz fest wünschen wollen (risse im herrschaftsverhältnis, die befehlsgewalt des kapitals an einigen stellen aufheben und so ein käse). lasst uns tatsächlich 1000 und mehr fragen stellen - und auch beantworten.
lgRol
--- Ursprüngliche Nachricht --- Von: "Kurto Wendt" Kurto.Wendt@reflex.at An: god@mond.at Betreff: [god] marxismus-debatte Datum: Thu, 30 Mar 2006 03:27:39 +0200
ein wunderbarer artikel aus der immer noch bemerkenswerten zeitung analyse und kritik. würde den text gerne am sonntag lesen und diskutieren, eventuell auch mit den marx-zitaten.
ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 503 / 17.2.2006
Kommunismus heute Absurde Antworten auf eine absurde Fragestellung in einer absurden Wirklichkeit "El Comunismo Hoy" - Der Kommunismus heute - lautete der Titel einer Podiumsveranstaltung, die im November 2005 an der Universidad Autónoma de la Ciudad de México (UACM) in Mexiko City stattgefunden hat. Wir drucken im Folgenden einen Vortrag ab, den John Holloway bei dieser Veranstaltung gehalten hat. Holloway verortet dabei die Dynamik des "Kommunismus als wirklicher Bewegung" im Kern des Kapitalverhältnisses selbst - im Antagonismus von entfremdeter und konkret nützlicher Arbeit.
Der Titel dieses Podiums sagt alles. Der Kommunismus heute! Aber nicht nur heute, sondern heute, heute, heute, hier und jetzt. Und nicht einfach nur als Idee, als Traum, als Tradition, sondern als gesellschaftliche Realität, als vollkommen andere gesellschaftliche Verhältnisse. Der Kommunismus heute? Hier und Jetzt? Die absurden Titel sind aber die interessantesten, und außerdem ist in dieser auf Selbstzerstörung der Menschheit ausgerichteten Welt die Hoffnung selbst absurd. In diesem 21. Jahrhundert über die Revolution zu reden, ist absurd. Und es gibt nichts Absurderes als das "Ya basta!" (1) der Zapatisten. In einer dem Tod geweihten Gesellschaft leben zu wollen, ist absurd. Aber es geht nicht anders. Nehmen wir also die absurde Herausforderung dieses absurden Titels für dieses Podiums an und begreifen sie in der absurdest möglichen Weise, so als würden wir uns eine Diskussion über die gesellschaftliche Realität des Kommunismus heute abverlangen. Und ich will hier weder über Nordkorea noch über Kuba sprechen. Nichts Zukünftiges, sondern aktuelle Bewegung Wie können wir also über Kommunismus als aktuelle Realität sprechen? Wir können mit einem Zitat aus "Die Deutsche Ideologie" von Marx und Engels beginnen: "Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben (wird). Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt." (MEW Bd. 3, S. 35) Der Kommunismus ist also nichts Zukünftiges, er ist eine aktuelle Bewegung. Aber wo ist die kommunistische Bewegung jetzt? Und wo befindet sich gar die ArbeiterInnenbewegung jetzt? Doch Marx und Engels sagen in diesem Zitat überhaupt nichts über die kommunistische Bewegung und auch nichts über die ArbeiterInnenbewegung. Sie sprechen über die "wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt". Und wo befindet sich diese wirkliche Bewegung? Innerhalb des Kapitalismus selbst. Deswegen ist der marxistische Begriff des Kapitals so wichtig. Denn im Unterschied zu anderen Begriffen wie Hegemonie, Imperialismus oder Imperium, beinhaltet das Kapital seine eigene Negation. Es enthält in sich "die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt". Was ist diese Bewegung? Die Bewegung der Arbeit. Das Kapital ist die Negation der Arbeit. Aber es zerstört sie nicht, weil es von ihr abhängt. Deshalb existiert die Arbeit zwar weiter innerhalb des Kapitals, aber als negierte Kraft, als Bedrohung.
Nach Marx hat die Arbeit einen Doppelcharakter. Sie ist abstrakte Arbeit und konkrete nützliche zugleich. Die abstrakte Arbeit produziert den Wert, den Mehrwert, das Kapital. Die abstrakte Arbeit ist entfremdete Arbeit. Deswegen ist es nicht die abstrakte bzw. entfremdete Arbeit, die "die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt", konstituiert. Ja, es existiert sogar ein Antagonismus zwischen der abstrakten bzw. entfremdeten oder Lohnarbeit einerseits und dem Kapital auf der anderen Seite, aber dies ist ein ziemlich oberflächlicher Antagonismus, denn letztendlich ergänzen sich abstrakte Arbeit und Kapital. (Gewerkschaften, die zum Schutz der Lohnarbeit erschaffene Organisationen sind, können deswegen keine revolutionären Organisationen sein.) Um über die "wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt", zu sprechen, müssen wir den Blick auf das andere Gesicht der Arbeit richten - ihre Existenz als nützliche und konkrete Arbeit. Die nützliche Arbeit existiert in der Form ihres Gegensatzes, der abstrakten Arbeit (genauso, wie der Gebrauchswert in der Form seines Gegensatzes, des Wertes, existiert). Dort, im Konflikt zwischen der nützlichen und der abstrakten Arbeit liegt der fundamentale Widerspruch des Kapitalismus, "der Springpunkt (...), um den sich das Verständnis der politischen Ökonomie dreht". (MEW Bd. 23, S. 56) Hier liegt der Schlüssel für das Verständnis der Gesellschaft im Allgemeinen, und hier liegt der Kern des Klassenkampfes. Die nützliche Arbeit existiert in ihrer entgegengesetzten Form, der abstrakten Arbeit. Das heißt, sie existiert in-und-gegen diese Form. Mit anderen Worten: Die Abstraktion der Arbeit ist eine permanente Aktion gegen die nützliche Arbeit, durch welche sie versucht, die nützliche Arbeit innerhalb der abst rakten Arbeit gebändigt zu halten. Das gelingt freilich nicht vollständig. (Ansonsten wäre es unmöglich, die abstrakte Arbeit zu kritisieren.) Also existiert die nützliche Arbeit innerhalb, gegen und jenseits der abstrakten Arbeit - als vulkanische Kraft. Hier, in der nützlichen Arbeit liegt die "wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt". Der Kommunismus ist die Bewegung des menschlichen Tuns gegen seine eigene Entfremdung oder Abstraktion. Der Kommunismus ist die Revolte gegen die entfremdete Arbeit, gegen die Lohnarbeit.
Doppelcharakter der Arbeit - kapitalistischer Antagonismus Diese Revolte hat viele Ausdrucksformen. Offensichtlich kommt sie aus dem Inneren der Lohnarbeit selbst, in den vielfältigen Formen der Ablehnung der Lohnarbeit, den Streiks, der Sabotage, dem Krankfeiern etc. Aber sie kommt auch von außerhalb der Lohnarbeit, im Kampf darum, unser Tun dem Kapital nicht zu unterwerfen, dem Kapital ein Tun entgegenzusetzen, das gegen die Entfremdung gerichtet ist. Das, was beiden Ausdrücken gemeinsam ist, ist der Ungehorsam, die Ablehnung, das NEIN: "Nein, wir werden unser Leben nicht nach der Anforderungen des Kapitals formen." Und im besten Fall wird hinzugefügt: "Wir werden tun, was wir für notwendig oder wünschenswert halten." In diesem Fall ist der Ungehorsam gleichzeitig Würde. Diese Formen von Würde, diese Ungehorsamkeiten können als Risse innerhalb des Herrschaftsgewebes betrachtet werden, Risse, die uns diese andere Gesellschaft, welche wir aufbauen wollen, erahnen lassen. Der Kapitalismus, das aktuelle Herrschaftssystem, lässt sich als Vorhang veranschaulichen, der uns die Welt der Kreativität und des unterdrückten menschlichen Potenzials verhängt. Wir schneiden mit unseren Kämpfen ein ums andere Mal in diesen Vorhang und durch die Schlitze hindurch können wir eine alternative Gesellschaft sehen, selbstverständlich voller Widersprüche und Probleme, aber charakterisiert durch andere gesellschaftliche Verhältnisse, gesellschaftliche Verhältnisse, die weder auf Geld und Konkurrenz basieren noch auf der Unterwerfung unter fremden Befehl. Diese Risse können verschiedene Dimensionen haben. Am deutlichsten sind die räumlichen bzw. territorialen Räume, in denen die Menschen sagen: "Hier, auf diesem Territorium akzeptieren wir die Befehlsgewalt des Kapitals nicht, wir werden die Dinge auf eine andere Art und Weise tun." Diese Räume können ganze Länder sein (Kuba, vielleicht), können große Regionen sein (das zapatistische Gebiet in Chiapas) oder sie können so klein sein, wie ein soziales Zentrum oder ein Alternativcafé. Aber die Risse sind nicht notwendigerweise territorialer Art. Sie können in Begriffen einer nützlichen Aktivität oder eines Gebrauchswertes verstanden werden. Zum Beispiel können wir sagen: "Bei allem, was Wasser anbetrifft oder Gesundheit oder Software oder Musik, werden wir die Befehlsgewalt des Kapitals nicht akzeptieren. Wir werden tun, was wir für wünschenswert halten." Oder man kann sie auch als zeitliche Begriffe verstehen: "Bei diesem Ereignis, dieser Demonstration, in diesem Moment werden wir nicht die Herrschaft des Kapitals akzeptieren, wir werden andere gesellschaftliche Verhältnisse kreieren, wir werden die Dinge auf eine andere Art und Weise tun."
Wenn Ungehorsamkeit und Würde Vorhänge zerreißen Nach und nach merkt man, dass die Welt voller Würden ist, voller Ungehorsamkeiten, voller Risse im Herrschaftsgewebe. Und diese Würden sind keinesfalls nur Teil eines langfristigen Kampfes, sondern jeder Riss hat seine eigene Gültigkeit. Jedes NEIN zu einem fremden Befehl beinhaltet eine Sichtweise der Welt, die noch nicht ist und doch schon existiert. Jede Würde ist ein Funke dessen, was sein kann, also ist. Diese Risse sind der Kommunismus heute. Sehr schön, aber ist das nicht eine akademische Fantasie? Das ist die wichtige Frage: Ist alles, was ich jetzt gesagt habe, reine Fantasie, oder entspricht es der realen Bewegung der aktuellen Kämpfe? Ich verstehe Kommunismus hier nicht als Staat mit Planwirtschaft, sondern als Aufblitzen der Selbstbestimmung, als Ausbrüche des nicht-entfremdeten Tuns gegen die entfremdete Arbeit, als die Bewegung einer negativen Dialektik ohne Synthese. Hinter diesem Ansatz steht ein Konzept von Kommunismus, das auf eine neue Klassenkonstellation abzielt, auf eine Neuordnung des Klassenkampfes. Die alte Idee des Kommunismus als Staat-Plan (2), als Synthese und nicht als Negation, würde damit einer Konstellation der früheren Klassen entsprechen, eine Konstellation, die v.a. durch den Kampf der abstrakten Arbeit, der Lohnarbeit gekennzeichnet war. Diese (fordistische) Klassenkonstellation befindet sich seit Jahren in einer Krise und mit ihr auch ihre verschiedenen Organisationsformen (Parteien, Gewerkschaften) und ihre Kommunismus- und Zeitkonzepte. Diese Krise ist eine Krise der abstrakten Arbeit, der Abstraktion der Arbeit. Durch diese Krise des Alten hindurch ist ein neues Konzept und vor allem eine neue Realität des Kommunismus im Entstehen begriffen. (3) Fragend schreiten wir voran.
John Holloway Übersetzung: Viviana Uriona, überarbeitet von Dorothea Härlin und Lars Stubbe
Anmerkungen:
- "Es ist genug!" oder "Schluss damit!"
- Holloway zielt mit diesem Begriff zum einen auf den Umstand, dass sich
im "real existierenden Sozialismus" der Staat als oberste Planungsinstanz dargestellt hat, Staat und Plan bildeten eine untrennbare Einheit. Doch der Begriff knüpft ebenso auch an den im italienischen Operaismus verwendeten Terminus des "stato-piano" an. Damit wurde die im Kapitalismus stattfindende enge und untrennbare Verzahnung zwischen dem Staat und einer wirtschaftspolitischen Planung bezeichnet, die von den kapitalistischen Mono- oder Oligopolen kontrolliert wurde. (Anm. L.S.) 3) Dieser letzte Absatz ist das Ergebnis eines Gesprächs mit meinem Freund Sergio Tischler. (Anm. J.H.)
god mailing list god@mond.at http://mond.at/cgi-bin/mailman/listinfo/god