liebe/r Nora, Mond, Dogmatiker und Dogmatikerinnen,
--- Ursprüngliche Nachricht --- Von: "Nora Hermann" nausikaa@gmx.at An: franz schaefer schaefer@mond.at Kopie: god@mond.at Betreff: Re: [god] selektiver umgang mit marx Datum: Mon, 6 Mar 2006 17:48:29 +0100 (MET)
lieber mond,
danke für die zusammenfassung des artikels, mir hst du's ja nie geglaubt. im gegensatz zu Weiß, der laut deiner darstellung (die wohl korrekt seine inhalte referiert) folgendes glaubt:
"jedoch waehren ab etwa ab 1968 die produktivkraefte weit genug
entwickelt gewesen fuer andere verhaeltnisse. das hat im westen zur 68er bewegung gefuerht die aber im system absorbiert wurde und im osten
verhindert wurde. resultat war letztlich der zusammenbruch des realsozialismus.
... bin ich der ansicht, dass die produktivkräfte noch immer nicht weit genug entwickelt sind! sie müssten nämlich weltweit in einem ähnlichen maß entfaltet sein, weil ungleichzeitigkeiten in der entfaltung eben darauf hinweisen, dass die produktivkräfte eben noch nicht genug entwickelt sind. dialektisch denken schliesst logisches denken nicht notwendigerweise aus, so wie offensichtlich bei Weiß (wo es sich womöglich sogar gegenseitig ausschliesst).
Wie weit müssen die Produktivkräfte entwickelt sein, damit eine revolutionäre Situation entsteht? Wenn es stimmt, dass die Produktivkräfte noch entwickelt werden müssem, dann hätte der alte Marx eine Revolution gar nicht im Sinn haben können; denn unzweifelhaft waren die Kräfte im 19. Jhd. noch weit weniger entwickelt, als heute. Es gibt doch kein Ende der Produktivkraftentwicklung, es geht nur manchmal schneller, manchmal langsamer, dann gibts wieder regelrechte Sprünge (elektrotechnische-, chemische-, fordistische-, IT-"Revolutionen"). Daher rühren auch die "Ungleichzeitigkeiten"; die können erst im Sozialismus ausgebügelt werden. Trotzdem ging Marx davon aus, dass eine soziale Revolution zu seinen Lebzeiten machbar ist und zwar, weil es nicht von der Produktivkraftentwicklung abhängig ist! Die rapide Entwicklung hat den Kapitalismus erst möglich gemacht. Eine Revolution findet statt, wenn sich genügend Leute dafür finden; die wissen, was sie machen wollen. Die kapiert haben, dass Geld, Eigentum, Staat, Konkurrenz, Nationalismus,... unvernünftig sind und sich die Leut damit gegenseitig nur schaden. Profitieren tut nur das Kapital und das politische Establishment und die müssen sich auch strikt an die Gesetze des Kapitalismus halten, wenn sie ihren Reichtum und die Macht behalten wollen. Die haben auch wenig Spielraum, wenngleich sie auf der Butterseite der Scheiße leben. Mir scheint, wer auf die weitere Entwicklung der Produktivkräfte setzt, wartet auf den Sanktnimmerleinstag. Dann hätten Kummerl die Aufgabe, für Rationalisierung, Forschung um jeden Preis, für schnellste Produktivitätssteigerung zu sorgen. Also das, wofür das Kapital schon sorgt!
Was war 1968? Da wurde einigen erstmal klar, dass es mit Vollbeschäftigung, "Wirtschaftswunder", Ausbau des Sozialstaats inkl. relativ hohen Lohnzuwächsen endgültig vorbei ist.
"aufgabe fuer heute waere es eine bewegung zu schaffen die in
aehnlicher weise auch den kapitalismus hinwegfegen kann..."
ist als bauernfängerei gedacht, damit leute, die lesen dürfen, was sie gerne hören wollen, den Weiß für einen neuen stern am theoriehimmel halten. seine anderen thesen sind auch nicht mehr sehr neu, oder was denkst du, wie ich dir das schon vor drei jahren erzählen konnte?
man macht sich immer beliebt, wenn man den massen die melodie vorspielt, die sie hören wollen. das ist das gegenteil von: "den verhältnissen ihre eigene melodie vorspielen, bis sie zu tanzen beginnen" (marx). das zweite meint kritik, das erste ist eine aufforderung zur voluntaristischen massenautosuggestion.
ich darf dich an den berühmten ersten satz aus dem XVIII. Brumaire (anlässlich der Weißschen forderung doch bitte, bitte 1968 zu wiederholen) erinnern: "Hegel hat einmal gesagt, dass sich die Geschichte wiederhole. Er hat vergessen dazuzusagen: einmal als Tragödie und dann als Farce." also 68 war schon ne tragödie, was käme, laut marx wohl beim zweiten versuch heraus? (ich üb schon mal: bruhahaha!)
mond, es steht einem kommunisten schlecht zu gesicht, lieber nach propheten zu suchen, statt selber kritik zu treiben. aber falls dir propheten lieber sind: es gibt eine menge historischer und aktueller propheten in den diversen religionen des weltmarktes, fast alle mit gütesiegel - millionen gläubige können nicht irren, oder?
lass dir vom Weiß nichts weismachen.
Vollkommen richtig
lg Roland