hallo,
ja, das gesellschaftliche sein bestimmt das bewusstsein. doch der satz besagt doch nur, dass leute üblicherweise gemäß ihrer klassenlage denken und agieren; dass sie sich im allgemeinen an die politischen vorgaben
halten.
mit betonung auf "üblicherweise" und "im allgemeinen". das ist das "falsche bewusstsein". wird verlangt, dass sie faschisten sind, werden sie es; kehrt wieder demokratie ein, haben sie auch damit keine problem. weil sie
immer
aus opportunismus - ihrem jeweiligen staat treu sind. das ist das bewusstsein eines patrioten. bei der herstellung eines solchen bewusstseins denken die leute dabei, aber sehr konform, unlogisch, unreflektiert, inkonsequent, also falsch. der satz übers gesellschaftliche sein wird
von
dir, liebe nora, zu deterministisch ausgelegt. weil dann ist ne
revolution
nie möglich. weil proleten und proletinnen unterm totalen kapitalismus
als
proleten nicht nur üblicherweise, sondern immer nur ein proletenbewusstsein mit allem was dazu gehört, hervorbringen können. aus marx hätte, gemäß seinem gutbürgelichen sein, demnach bloß eine liberaler journalist mit spitzer feder werden können. er wäre nur in die literaturgeschichte eingegangen.
klassenbewusstsein (die klasse für sich!) kann sich doch nur in einer unterbrechung des seinsabhängigen bewusstseins ergeben. und das kann nur eine denkleistung sein, mithin voluntaristisch. es ist das bewusste denken, das über die grenzen hinausweist. im denken löst sich das bewusstsein
vom
sein und geht darüber hinaus. utopien wären etwa sonst nicht möglich.
ein
prolet kann sich in einen kapitalisten hineindenken, ohne einer zu sein; und umso besser, je mehr er über das konstituierende eines kapitalisten
weiß.
umgekehrt natürlich auch. selbstverständlich kann dabei jede menge falsches und blödsinn, aus inkonsequenz, unlogik, etc. gedacht werden. es
passiert
ja permanent. da kommt dann faschismus, etc. raus.
folgt man deiner ansicht bezügl. produktivkraftentwicklung, dann müssten wir heute bei einem höchstmaß an produktifkraft, ein höchstmaß an klassenbewusstsein haben, wovon keine rede sein kann. im gegenteil, das proletariat ist klassenbewusst so tot wie nie zuvor. die these vom zusammenhang zwischen produktivkraftentfaltung und klassenbewusstsein
ist
nicht haltbar. die stärksten revolutionsversuche gabs ja 1917ff. in
einer
zeit wo die produktivkräfte allgemein, bei weitem das heutige ausmaß
nicht
hatten und wegen des weltkrieges sogar rückläufig waren. auch die sowjetunion spricht gegen die these: war nicht die russische revolution ein voluntaristischer akt von einigen entschlossenen berufsrevolutionären und revolutionärinnen? und noch dazu in einem land mit hinterherhinkender produktivkraft, verglichen mit mittel- und
westeuropa?
ja, das ist genau das problem des bewusstseins! in russland gab's tatsächlich die intellektuellen (also die avantgarde) mit dem nötigen bewusstsein und eine proletarische elite von arbeitern, aber die produktivkräfte waren genau nicht genug entwickelt, es gab wenig hochentwickelte arbeitsteilung an sehr wenig orten - das hat die oktoberrevolution zu einer avantgardistischen revolution gemacht, die dann in der aufgabe der nachholenden bürgerlichen entwicklung versumpft ist - die mag ja sogar geglückt sein, mit dem resultat dass die massen 1990 einen politischen ausdruck dieser materiellen verhältnisse wollten - eine bürgerliche demokratie nämlich - die aufgabe, den staat absterben zu lassen und kommunistisch zu werden (wie stalin das für einen zukünftigen st. nimmerleinstag prognostiziert hatte) ist dann nicht mehr zustande gekommen.
die revolutionären konzepte die derzeit existieren orientieren sich an rezepten, die bereits veraltet sind, weil sie keine globale perspektive beinhalten. die negrische "multitude" ist keine lösung, weil nur ein diffuses subjekt gefeiert wird, das ebenfalls sich selbst feiert, aber punkto ideen genauso auf nostalgische rezepte verfällt. ausserdem ist weit und breit nichts von globaler verantwortung in den "revolutionären" konzepten zu entdecken - ich halte einen kommunitaristischen ansatz für nur insofern zielführend als er nationale modelle optimiert - nix dagegen aber das ist höchstens reformistisch.
in zeiten der internationalen vernetzung sind lokale "revolutionen" höchstens revolten und ihre ansprüche auch selten über das wohl der betreffenden nation hinausweisend (ukraine, libanon) - im grunde alles bloss einforderungen bürgerlicher versprechungen, die endlich verwirklicht werden sollten.
Du hast ja recht - bis zu den Beispielen Ukraine und Libanon: In der Ukraine und im Libanon gings um den verstärkten Einfluß des Westens. Das waren nicht einmal Revolutionen mit Anführungszeichen: Der Westen konnte sein politisches Personal erfolgreich durchsetzen. In der Ukraine ist das glasklar; im Libanon nahm man den Mord an Hariri zum Anlass, um Syrien einzudämmen. Daran erkennt man die "bürgerlichen Versprechungen": Eine von den stärksten imperialistischen Ländern (USA, EU) abhängige Klassengesellschaft mit Mehrparteiendemokratie, statt wie bisher Russland oder Syrien. Die Merheit in der Ukraine und im Libanon kam vom Regen in die Traufe.
dem schliesse ich mich auch voll und ganz an: solange für
die menschheit insgesamt nicht die bürgerlichen versprechen eingelöst sind, sehe ich keine möglichkeit, dass die kommunistischen versprechen überhaupt verstanden werden, geschweige denn gewünscht.
in europa hat das kleinbürgertum - auch mittelschichten genannt, die grossartige funktion eine puffers, sowohl ökonomisch, als auch politisch, als auch intellektuell, um die wahrheit der verhältnisse nicht zu sich kommen zu lassen und das proletarische klassenbewusstsein (das ja eigentlich auch gar nicht auf die arbeiterInnen allein beschränkt sein und bleiben muss) im dornröschenschlaf zu halten. es lebe die ideologische arbeitsteilung.
Was sind die "bürgerlichen Versprechen" und was taugen diese? Leben diese "Versprechen" nicht davon, dass sie - etwa das Glücksstreben - THEORETISCH von jedem eingelöst werden können, aber genau diese theoretische Möglichkeit das Hindernis ist, warum sie in der Praxis niemals zum Tragen kommen können. Gibts die vielleicht nur, weil sie immer nur für einen Teil der Leute zu haben sind; für die mit Geld? Sind die bürgerlichen Versprechen darum in Wahrheit nichts als Schall und Rauch? Bürgerliche Versprechen für alle ist doch paradox. Wenn sie nur für Leute mit Geld erfüllbar sind, was haben Proletinnen dann davon?
die entwicklung der produktivkräfte als bürgerliche aufgabe? was heißt
das
genau? die produktivkräfte werden doch von den proleten entwickelt;
unter
dem diktat des kapitals und zwecks profiterzielung! warum hätten sie damals am beginn des kapitalismus das bürgertum dafür brauchen sollen, wenns genug sozialisten und sozialistinnen gegeben hätte?
das ist ein irrtum: die vorgaben macht das bürgertum und kauft sich dafür die entsprechende arbeitsleistung, von sich aus kommen leute, die nicht im besitz von produktionsmitteln sind, auch nicht auf die idee, diese - womöglich gegen ihr interesse, ihre arbeitskraft auch weiterhin verkaufen zu können - zu optimieren.
Das ist richtig und Du sagst auch richtig, warum Proleten kein oder wenig Interesse an einer Verbesserung haben können; weil ihr Arbeitsplatz durch Rationalisierung gefährdet wird. Du tust aber so, wie wenn es noch einen, von den beiden gegensätzlichen Positionen unabhängigen Grund für den Fortschritt gibt. Fortschritt muss sein! Warum? Ich möcht jetzt nicht als ein Zurück-zur-Natur-Heini eingestuft werden, aber der bürgerliche Fortschritt hat ausschließlich den Profit als Zweck und bringt deswegen alle Übel für Mensch und Natur mit sich. Fortschritt kann es nur unter vernünftigen Bedingungen und für alle Leute - nicht nur den Besitzern - geben. Der Kapitalismus ist demnach gar nicht fortschrittlich, weil er die Lebensbedingungen nicht verbessert; aber das ist auch nicht seine Aufgabe.
Die Russische Revolution war deswegen zum Scheitern verurteilt, weil sie in einem armen Land stattfand und der Rest der Welt ihr feindlich gegenüberstand. Der westliche Imperialismus war der massivste Grund, warum es mit der SU nicht klappte. Die brutale Industrialiserung war notwendig, um dem westlichen Druck notdürftig standhalten zu können. Aufgrund der feindlichen Haltung musste die Industrialisierng zum "Aufbau des Sozialismus" umgelogen werden. Das war eine staatliche Verteidigungsmaßnahme mit - notwendigerweise - bürgerlichen (Gewalt-)Mitteln. Sozialismus in einem Land geht nicht. Wie, mit welchen Mitteln und ob überhaupt industrialisiert, etc. wird, entscheidet sich ausschließlich nach Vernunftkriterien. Nach denen wird ein Fortschritt auch sinnvoll sein, aber ganz anders aussehen, als heute.
sozialistInnen verhandeln im arbeitskampf
meistens über die bedingungen und möglichkeiten ihrer reproduktion, im übrigen hat ja auch erst das kapitalverhältnis die klassen als solche erzeugt. nicht die socken überm schuh anziehen!
die einführung des
kapitalismus war ein staatlicher gewaltakt. die mussten erst das kapital (ursprünglich) akkumuliern, dann konzentrieren. das dabei angehäufte kapital ist notwendig, um die produktivkräfte fortlaufend zu "revolutionieren".
auch nicht richtig. das kapitalverhältnis hat sich die bestehenden staatlichen institutionen nach seinen bedürfnissen geformt, der staat ludwig des XIV. ist, obwohl er bereits zum zentralstaat transformiert wurde, in keinster weise mit dem staat napoleons III. ident. und die entwicklung kapitalistischer strukturen ist je nach betrachtetem land ungeheuer unterschiedlich, einfach deshalb, weil die historischen bedingungen unter denen das kapitalverhältnis sich durchzusetzen begann unterschiedlich sind. frankreich, italien, england, deutschland, schweden sind spezifische ausformungen und nicht untereinander austauschbar.
Wie genau hat sich das Kapitalverhältnis die Institutionen geformt? Klar haben die Länder unterscheidliche Entwicklungen gemacht, aber hier kommt die Frage des Basis-Überbau-Verhältnisses wieder zum Vorschein. Der Staat, auch schon der frühbürgerliche, schafft die Rahmenbedingungen unter denen das Kapital agiert. Er ist natürlich auf die bestmöglichen aus, weil ein erfolgreiches nationales Kapital auch dem Staat und seiner Macht zugute kommt.
diese entwicklung hätten ja auch genügend sozialisten, ohne kapital,
etc.
machen können, nach vernunftkriterien.
hätten das sozialisten gemacht, wären sie die kapitalisten geworden, die tätigkeit, die jemand in der gesellschaft ausübt, definiert seine gesellschaftliche haltung, position und funktion kannst du nicht auseinanderlegen - sonst hast du lauter schizophrene. das war ja auch der grund warum die SU im grunde ein bürgerlicher staat war und die nomenklatura nach der wende sich selbst zum neuen grossbürgertum transformierte.
der grad der gesellschaftlichen arbeitsteilung bestimmt die fähigkeit bestimmte verhältnisse und strukturen zu denken - oder eben nicht zu denken (die alten griechen hatten alle mathematischen und physikalischen erkenntnisse, um die erste dampfmaschine zu bauen - sie taten es nicht, weil ihre gesellschaftlichen verhältnisse dem denkkonzept einer massenhaften warenproduktion mit hilfe von maschinen nicht förderlich waren).
Das ist eine interessante Frage: Was brauchts, um von einer bornierten Gesellschaft zu einer sozialistischen bzw. vernünftigen zu gelangen? Oder: Was hat dem Aristoteles gefehlt (Marx beantwortet es ja, nämlich die Vorstellung der menschlichen Gleichheit), um über die Klassenschranken hinausschauen zu können. Warum ist ihm nicht aufgefallen, dass Frauen und Sklaven Menschen sind? (MEW 23, S.74)
selbst für eine beginnende
produktivkraftentwicklung brauchts kein kapital.
manche meinen doch. stapelfeld geht davon aus, dass der handelskapitalismus des 13. jh. (hanse, fugger, genua, valencia) das notwendige startkapital für die beginnende manufakturproduktion erwirtschaftet hat - ohne das eine, keine möglichkeit für das andere. im 15. jh. war das kapitalverhältnis bereits weit entwickwelt, daher die intellektuellen erkenntnismöglichkeiten der renaissance, die wiederum die produktivkräftentwicklung vorantrieben. ausbeutung (im kapitalistischen sinn) gab's damals schon lange, aber noch keine sozialisten. savonarole war genausowenig einer wie francesco d'assisi.
wer das glaubt, wird nie
einen grund für die abschaffung des kapitalismus finden.
aber ja, gründe für die aufhebung des kapitalverhältnisses gibt es mehr als bloss einen - das ist doch hier nicht der punkt! ich dachte hier geht's darum, ob es schon hinreichende bedingungen dazu gibt. und die müssten mannigfaltig und multivariabel sein: eine variable REICHT NICHT HIN für einen erfolg. das elend der welt ist zwar ein grund, aber kein auslöser für eine erfolgreiche aufhebung der klassenverhältnisse - elend gibt's seit jahrtausenden, elend unterm kapitalverhältnis seit jahrhunderten - trotzdem hat sich nicht die revolutionäre transformation ergeben sondern die ungeheure und permanente optimierung der produktivkräfte sub auspicie capitalis.
stimmt, marx hat
das auch mal vertreten. und noch schlimmere geschichtsphilosphie. M. w. ist beim späten marx davon nix mehr geblieben.
ich bin kein grosser fan von einer unterteilung von frühem und spätem marx
- nur weil er sich weiterentwickelt hat, ist er noch kein anderer mensch
geworden. wesentliche momente seiner ideen ziehen sich durch seine gesamte lebensarbeit, wie denn auch nicht!?
roli, ich denke nicht deterministisch, aber mit dem kopf durch die wand rennen wollen, ist noch keine revolution. vor dem scheitern klug zu sein ist der gesundheit zuträglicher als nachher.
nicht mal napoleon konnte die französiche revolution voluntaristisch durchsetzen, die welt hat halt warten müssen, bis alle staaten bürgerlich wurden - das ist bei manchen bis heute nicht der fall und in russland hat's eine kommunistische revolution gegeben um 1990 im bürgerlichen (neo) liberalismus anzukommen. napoleon aber hat das früher wollen und 1812 kräftig auf die finger gekriegt! wie wär's mit revolutionärer geduld und das tun, was geht? gehen kann nämlich eine praxis der kritik, die das bewusstsein entwickelt und ohne eine solche praxis des bewusstseins gibt's nur eine reflexgesteuerte praxis und die kommt leider wenig weit. (siehe z.b. was die kpö so treibt).
Keine Angst, ich renn schon nicht mit dem Kopf durch die Wand und nix anderes als die Praxis der Kritik hab ich im Sinn. Darum auch mein insistieren.
gute Nacht Roland