liebe genossInnen,
bei der diskussion der programmatischen thesen fuhren wir uns an einer wesentlichen einschaetzung fest, naemlich an folgender:
*Die verwandlung der wissenschaft in eine unmittelbare produktivkraft leitete einen qualitativen umbruch in den wirtschafts- und arbeitsverhaeltnissen und den uebergang von einer 'industriegesellschaft' zu einer 'wissens- und dienstleistungsgesellschaft' ein.*
einige aus der GO sind nun der meinung, das dies weder ein umbruch noch gar ein qualitativer sei, sondern eine schluessige weiterentwicklung des niveaus der produktivkraefte und damit als eine quantitative veraenderung zu werten sei. dies stiess auf heftigen widerspruch. aus diesem grunde stelle ich hier eine bemerkung von alfred sohn-rethel zur diskussion, die sich auf obiges problem bezieht:
*Fuer Marx dagegen versteht sich die Zeit, die die Genesis und die Wandlung der Formen beherrscht, von vornherein als geschichtliche, natur- oder menschengeschichtliche Zeit. Darum kann auch ueber die Formen nichts im Voraus ausgemacht werden. prima Philosophia in jeglicher Gestalt ist im Marxismus ausgeschlossen. Was ausgesagt werden soll, muss durch Untersuchungen erst herausgefunden werden. Historischer Materialismus ist, wie gesagt, nur der Name fuer ein methodologisches Postulat, und auch das hatte sich Marx >erst aus seinen Studien ergeben<. So laesst sich bei der Bildung von historischen Bewusstseinformen nicht ueber die Abstraktionsprozesse hinwegsehen, die sich darin betaetigen. Die Abstraktion kommt der Werkstatt der Begriffsbildung gleich, und wenn die Rede von der gesellschaftlichen Selbstbestimmtheit des bewußtseins einen formgerechten Sinn besitzen soll, so muss ihr eine materialistische Auffassung von der natur des Abstraktionsprozesses zugrundegelegt werden koennen. Eine Bewusstseinsbildung aus dem gesellschaftlichen Sein setzt einen Abstraktionsprozess voraus, der Teil des gesellschaftlichen Seins ist. Nur ein solcher Tatbestand kann verstandlich machen, was mit der Aussage gemeint ist, dass >das gesellschaftliche Sein der Menschen ihr Bewusstsein bestimmt<. Mit einer solchen Auffassung steht aber der historische Materialistin unvereinbarem Gegensatz zu aller ueberlieferten theoretischen Philosophie. Fuer die gesamte theoretische Denktradition steht es fest, dass Abstraktion die eigentliche Taetigkeit und das ausschliessliche Privileg des Denkens ist. Von Abstraktion in einem anderen Sinne denn als Denkabstraktion zu sprechen gilt als unzulaessig, es sei denn, man gebrauche das Wort bloss in metaphorischem Sinne. Auf Grund einer solchen Auffassung wird aber das Postulat des geschichtsmaterialismus undurchfuehrbar.*
*Marx spricht im Zuge seiner Formanalyse der Ware von der
Warenabstraktion< und der >Wertabstraktion<. Die Warenform ist abstrakt,
und Abstraktheit herrscht in ihrem gesamten Umkreis. In erster Linie ist der Tauschwert selbst abstrakter Wert im Gegensatz zum gebrauchswert der Waren. Der tauschwert ist einzig quantitativer Differenzierung faehig, und die Quantifizierung, die hier vorliegt, ist wiederum abstrakter Natur im Vergleich zur Mengenbestimmung von Gebrauchswerten. Selbst die Arbeit, wie Marx mit besonderem Nachdruck hervorhebt, wird als Bestimmungsgrund der Wertgroesse und als Wertsubstanz zu >abstrakt menschlicher Arbeit<, menschlicher Arbeit als solcher nur ueberhaupt. Die Form, in der der Warenwert sinnfällig in Erscheinung tritt, naemlich das Geld, sei es gemuenztes Geld oder Geldschein, ist abstraktes Ding und in dieser Eigenschaft, genau genommen, ein Widerspruch in sich. Im Geld wird auch der Reichtum zum abstrakten Reichtum, dem keine Grenzen mehr gesetzt sind. Als Besitzer solchen Reichtums wird der Mensch selbst zum abstrakten Menschen, seine Individualitaet zum abstrakten Wesen des Privateigentuemers. Schliesslich ist eine Gesellschaft, in der der Warenverkehr den nexus rerum bildet, ein rein abstrakter Zusammenhang, bei dem sich alles Konkrete in privaten Haenden befindet. Das Wesen der Warenabstraktion aber ist, dass sie nicht denkerzeugt ist, ihren Ursprung nicht im Denken der Menschen hat, sondern in ihrem Tun. Und dennoch gibt das ihrem Begriff keine blosse metaphorische Bedeutung. Sie ist Abstraktion im scharfen woertlichen Sinn. Der oekonomische Wertbegriff, der aus ihr resultiert, ist gekennzeichnet durch vollkommene Qualitaetslosigkeit und rein quantitative Differenzierbarkeit und durch Anwendbarkeit auf jedwede Art von Waren und von Dienstleistungen, welche auf einem Markt auftreten moegen. Mit diesen Eigenschaften hat die oekonomische Wertabstraktion in der Tat frappante aeussere Aehnlichkeit mit tragenden Kategorien der quantifizierenden Naturerkenntnis, ohne dass freilich die mindeste innere Beziehung zwischen diesen gaenzlich heterologen Ebenen ersichtlich waere. Waehrend die Begriffe der Naturerkenntnis Denkabstraktionen sind, ist der oekonomische Wertbegriff eine Realabstraktion. Es existiert zwar nirgends anders als im menschlichen Denken, er entspringt aber nicht aus dem Denken. Er ist unmittelbar gesellschaftlicher Natur, hat seinen Ursprung in der raumzeitlichen Sphaere zwischenmenschlichen Verkehrs. Nicht die Personen erzeugen diese Abstraktion, sondern ihre Handlungen tun das, ihre Handlungen miteinander.
Sie wissen das nicht, aber sie tun es.< *
(beide zitate sind aus sohn-rethels hauptwerk: Geistige und koerperliche Arbeit. Zur Theorie der gesellschaftlichen Synthesis)
aufgrund obiger zitate, insbesondere des hinweises auf die quantifizierende naturerkenntnis der wissenschaften, glaube ich den, in den programmatischen thesen erwaehnten 'umbruch' als einen rein quantitativen belegen zu koennen.
ich bitte euch um eventuelle kritik oder auch widerspruch, moeglichst mit belegen.
mfg nora