Hallo,
das ist ein interessanter Artikel von Thomas Ebermann, erschienen im konkret 4/04 (übernommen von: www.kominform.at)
LG Roland
------
Reif - aber wofür? Von Thomas Ebermann
In Europa formiert sich eine linke Partei, um »unseren Kontinent« von den USA zu »emanzipieren«.
Als Faustregel für richtige Politikmacherei gilt, daß sowohl verspätetes als auch verfrühtes Handeln fehlerhaft ist, man also stets die Zeit befragen müsse, ob sie schon soweit sei. Daraus entstehen spannende Debatten: »Die Zeit ist reif für eine Partei der Europäischen Linken«, heißt es in einem Aufruf zur Gründung einer solchen,* und das Programm, vom selben Kreis verabschiedet, hält als Beschlußlage fest: »Ja, die Zeit ist gekommen ...« Ankunft und Reife der Zeit könnten sogar schon ein Weilchen übersehen worden sein, denn Wolfgang Gehrcke stellt für seine Partei, die PDS, fest, »wir halten die Zeit für überreif, daß sich die europäische Linke zu neuen Formen vereinigt«, womit er die Sozialistische Partei der Niederlande jedoch nicht überzeugt, zweifelt diese doch, »ob dies schon der rechte Zeitpunkt für eine derartige Parteigründung sei« und fordert mehr Geduld.
Der Gründungsakt der Partei der Europäischen Linken am 9. Mai in Rom wird also einen richtigen Parteivorsitzenden, einen echten Parteivorstand und eine gewisse (die Einzelheiten entnehmen sie bitte der Tagespresse) Zahl von Vollmitgliedsparteien zeitigen, andere werden Beobachterstatus beziehen, wieder andere, zu denen notorisch die DKP gehört, ihre Ausgrenzung beklagen.
Die Vollmitglieder werden aus kürzlich bereitgestellten EU Mitteln eine Förderung von 8,2 Millionen Euro erhalten, wenn oder weil sie sich der europäischen Integration verpflichten, womit schon zu mehr als der Hälfte erklärt ist, warum die Zeit als reif zu gelten hat.
Damit sich niemand vor Bevormundung fürchte, ist jetzt schon verabredet, daß »Offenheit, Respekt, Akzeptanz und Toleranz« das Klima prägen und »moderne, offene und zukunftsweisende Formen der Kooperation« angestrebt werden - also all das, was die PDS so auf ihren letzten Parteitagen zelebriert hat.
Ob inhaltliche Unterschiede (oder das. was Ilka Schröder verschiedene Politikstile nennt, also die kämpferische Tradition südeuropäischer Realsozialisten versus die staatsfromme PDS) sich als relevante Probleme erweisen werden, kann ich nicht beurteilen. 8,2 Millionen Euro aus Brüssel sind ein gewichtiges Argument gegen jede Zuspitzung, und Walter Baier, der Vorsitzende der KPO (die kürzlich per Gerichtsurteil um ihre finanzielle Ressource gebracht wurde) meint nun auch: »Differenzen würden nicht länger als Hindernis, sondern als produktiver Faktor betrachtet«, was ihre Vermehrung geradezu zum Gebot der Stunde macht.
Helmut Scholz, Leiter des Referats Internationale Politik I - Internationale Verbindungen beim PDS-Vorstand, der noch eine Reihe weiterer wohlklingender Funktionen auf sich vereint und deshalb eine Visitenkarte im Großformat benötigt, macht sich ansonsten ganz klein und hat herausgefunden, daß »keiner von uns im Besitz der Kenntnis des richtigen Weges, der Überzeugung nur einer Wahrheit ist«.
Die Verunsicherung ist gespielt, sie dient der knallharten Definition von gewünschter und zu verhindernder Pluralität. Hoch im Kurs steht zum Beispiel eine gepflegte Debatte über den Überbau der Großmacht: »Wie immer wir insgesamt zu dem gegenwärtig diskutierten Verfassungsvertrag stehen mögen ...«, heißt es im Programmentwurf der Partei der Europäischen Linken (PEL), eine Formulierung, die die ganze Meisterschaft in der Kreation von Formelkompromissen beweist.
Die Kontroverse ist ja wirklich insofern substanzlos, als auch die den EU-Verfassungsentwurf ablehnende Strömung nicht das Projekt der europäischen Großmacht kritisiert, mit dem die USA herausgefordert, Rußlands Einfluß in Osteuropa liquidiert, Deutschlands (und Frankreichs) Hegemonie über die schwächeren EU-Staaten ausgebaut werden soll, sondern von diesen Zwecken abstrahiert, um zum Bild eines eigentlich guten (EU-)Europa zu gelangen, das durch Verbesserungen nur noch schöner wird. An Verbesserungsvorschlägen mangelt es wahrlich nicht, sie wirken wie abgeschrieben aus der Zeit, als die PDS das wiedervereinigte Deutschland zu einem Hort fur Wohlstand, Frieden und Geselligkeit machen wollte, wenn nur der Paragraph, nach dem der Anschluß geregelt würde, ein alternativer sei.
Diesmal also soll es um »Partnerschaft und Stärkung des internationalen Rechts« gehen; um »Prioritäten ... bei denen der Mensch und nicht das Geld im Vordergrund steht«; um die Begrenzung des »Einflusses von Lobbyisten und Privatinteressen«, um »mehr Macht fur die nationalen Parlamente und das Europäische Parlament«, um einen freundlicheren Umgang bzw. eine nettere Verarschung der Schwellenund Entwicklungsländer (»Wir nehmen Anteil an den Gedanken von Olof Palme und Willy Brandt zum NordSüd-Dialog«); um den Erhalt der »Vielfalt der Kultur- und Lebensweisen«, die »in Gefahr eingeebnet zu werden sind«. Wenn das, und einiges mehr, gelingt, wird »unser Kontinent« (dem wir nunmehr das Drittel an Patriotismus zuteilen, welches neben der regionalen und nationalen Identität Platz hat Sorben dürfen vierteln) »ein Europa des Friedens, der Gerechtigkeit, der Weltoffenheit und Demokratie«.
Daß zu diesem Zweck allerlei Verantwortung übernommen werden muß, versteht sich von selbst: »Einige sind in der Regierung (zum Beispiel die AKEL aus Zypern), andere haben - zumeist bittere - Erfahrungen an Kabinettstischen gesammelt«. Mit »bitteren Erfahrungen« ist hier nicht gemeint, was etwa die KPF ab 1997 als Bestandteil einer sogenannten Linksregierung den unteren Schichten der französischen Gesellschaft an »neoliberalen« Zumutungen aufgehalst hat (oder die griechische Synaspismos in ihrer Liaison mit der Pasok). Gemeint ist der Undank der Wähler für diese Aktivitäten aus nationaler Verantwortung. Außerdem reicht ja ein Blick nach Berlin oder ins Mecklenburgische, um die Hohlheit des Geschimpfes auf den »Neoliberalismus« einzuordnen.
Für uneingeschränkt glaubwürdig darf man allerdings die Frontstellung der PEL gegen den weltpolitischen Hauptkonkurrenten »unseres Kontinents« halten. Helmut Scholz, eben noch ohne jede »Kenntnis des richtigen Weges«, marschiert nun stramm gegen »amerikanische Schnittmuster, (die) Eingang in Theorie und Praxis in Europa handelnder politischer Kräfte finden«. Sein Vorsitzender, der das Hauptreferat beim Treffen der Gründungswilligen in Berlin hielt, wußte dort zu verkünden, daß »wir ein Europa brauchen, welches sich von der US-Administration eines George Bush emanzipiert« (Bisky). Eben diese »Emanzipation Europas gegenüber den USA« sei, ergänzt Wolfgang Gehrcke, »unverzichtbar für das Selbstverständnis«, weshalb, bei allem sonstigen Pluralismus, auch ins Programm geschrieben wurde, das ideale (EU-) Europa habe »unabhängig von der Hegemonie der USA« zu sein und deren »Militärbasen« zu entfernen. Damit ist selbstredend definiert, daß der bessere Teil »unseres Kontinents« jener ist, der während des Irakkriegs den USA vergleichsweise schroff die Stirn bot; als böserer gilt, wer sich dem deutsch-französischen Block nicht anschloß.
Daß sich in allen Unterlagen, die ich zur Verfügung habe, kein kritisches Wort über die Anmaßungen und Erpressungen der deutschen (und französischen) Staatsführer gegen schwächere Unbotmäßige findet, rundet das Bild ab. Auch wenn die militärpolitische Konsequenz der Prämisse, »unser Anliegen sollte ein starkes Europa sein« (Gabi Zimmer, damals noch Vorsitzende) noch gescheut wird, ist das »lange Zeit ambivalente Verhältnis der PDS zu Europa« überwunden. Das Weitere wird sich finden.
Nicht so einfach wie die PDS, die ja nur die Fata Morgana eines Deutschlands als Opfer der EU aus dem Verkehr ziehen mußte, werden es die Parteien haben, deren Ablehnung der EU tatsächliche Gründe (zu denen sich nationalistische gesellen) reflektiert. Die Kommunisten der Tschechischen Republik zum Beispiel, deren massenhafte Klientel von der Fitmacherei des Landes für »Europa« wahrlich nicht profitiert hat, galten bislang als Bastion der EU-Gegnerschaft. Bedenkt man, was die deutsche Wirtschaft sich da alles unter den Nagel gerissen hat und mit welcher Frechheit die Forderungen der Sudeten vom deutschen Staat unterstützt werden, liegt der Gedanke, man müsse sich kraftvoll ausgerechnet gegen eine US-Hegemonie stemmen, nicht wirklich auf der Hand. Er hat, genau genommen, etwas von der Forderung, in Rom müsse die Macht der Lutheraner gebrochen werden.
Über die Verlaufsform solcher Konflikte wage ich keine Prognose. Die Welt der ehemals mehr oder minder fest mit Moskau liierten Parteien hat einen Politikertypus (genannt: Kader) erzeugt, den wohl nur verstehen kann, wer in dieser Tretmühle selbst aktiv war. Ein Beispiel hierfür soll genügen: Die Luxemburger Organisation Dei Lenk (Die Linke) beurteilt in ihrer Zeitung die entstehende Partei: »Unter inhaltlichen Gesichtspunkten dürfte dieses Projekt eine Totgeburt sein ... Es handelt sich ganz offensichtlich nicht um eine Initiative, die von den Bedürfnissen der sozialen Kräfte ausgeht, welche nach einer radikalen Alternative verlangen, sondern um ein Produkt des Apparat-Establishments.« Und was ist die Konsequenz dieser Beurteilung? Dei Lenk ist Mitglied dieser Totgeburt des Apparat-Establishments. Denn wer zu spät kommt, kriegt keine Fördergelder.
* Zur Kerngruppe der Parteigründer gehören folgende Parteien - vielleicht sind zwischenzeitlich einige hinzugekommen oder abgesprungen: Estnische Sozialdemokratische Arbeiterpartei, Französische Kommunistische Partei, Koalition der Linken, der Bewegung und der Ökologie (Synaspismos - Griechenland), Partei der kommunistischen Wiedergründung (PRC - Italien), Die Linke (Luxemburg), Kommunistische Partei Österreichs, Kommunistische Partei der Slowakei, Vereinigte Linke (Spanien), Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (Tschechische Republik), Partei des Demokratischen Sozialismus (Tschechische Republik), Partei des Demokratischen Sozialismus (BRD)