lieber genosse tibor!
Nationaler und internationaler Kampf
die hier zitierte passage behandelt die frage wo man unter den gegebenen umstaenden eines nationalen staates zu kaempfen sein und die frage wird richtig beantwortet. sie behandelt aber nicht die fragestellung ob nicht andere strukturen eine besser bedingugn fuer diesen kampf schaffen wuerden. in allen passagen die ich dazu bei ME gefunden habe werden von unseren klassikern die groesseren strukturen bevorzugt. die eu-austrittsforderung ist dieser position diametral entgegengesetzt: sie will bereits entstandene bzw entstehende groessere strukturen wieder durch kleine ersetzten.
ich habe dazu vor einigen wochen eine email an den verteiler geschickt. ich haenge sie am ende dieser mail noch einmal an.
die restliche mail von dir behandelt ebenfalls eine andere frage als die ob groessere oder kleinere staatliche strukturen besser fuer den kampf gegen den kapitalismus geeignet sind. es behandelt die frage ob der buergerliche staat geeignet ist um gegen den kapitalismus zu kaempfen und diese frage wird verneint. die antwort ist dass es eines sozialistischen staates bedarf und selbst dieser nur eine uebergangsrolle spielt.. (wir haben uebrigens zu diesem thema oefters recht interessante diskussionen bei den GO treffen... waere nett wenn du oefters mal vorbeikommst...)
alles richtig aber geht halt etwas am thema vorbei. ob die groessern struturen den kampf erleichter oder nicht. marx begruesst SOGAR den bismarck'schen staat nur allein aus der tatsache weil er von seiner struktur aus groesser (in diesem falle national statt regional) ist:
hans hautmann zitiert im "vademekum" seite 217 einen briefwechsel von engels und marx:
engels musste sich eingestehen, dass die demokratische volksbewegung zu schwach war, um eine verpreussung deutschlands zu verhindern. am 25. juli 1866 schrieb engels an marx:
"die geschichte in deutschland scheint mir jetzt ziemlich einfach. von dem augenblick an, wo bismarck den kleindeutschen bourgeoisplan mit der preussischen armee und so kolossalem skuzess durchfuehrte, hat die entwicklung in deutschland diese richtung so entschieden genommen, dass wir ebensogut wie andere das fait accompli (vollendete tatsachen) anerkennen muessen, we may like it or not.
die sache hat das gute dass sie die situation vereinfacht... die ganze kleinstaaterei wird in die bewegung hineingerissen, die schlimsten lokalisierenden einfluesse hoeren auf, und die partein werden endlich wirklich nationale, statt bloss lokale"
marx pflichte dem bei, als er antwortete:
"fuer die arbeiter ist natuerlich alles guenstig, was die bourgeoisie zentralisiert"
dass die EU in ihrer jetztigen form nicht gut fuer den kampf gegen den kapitalismus ist ist wohl keine frage aber die umwandlung einer EU in ein sozialistisches europa ist eine zwar schwere aber moegliche aufgabe, die umwandlung kleiner sich konkurenzierender nationalstaaten in sozialistische erscheint mir dagegen, angesichts der massiven internationalen wirtschaftlichen und kapitalistischen verflechtungen als eine wesentliche schwierigere aufgabe. und marx ist hier offensichtlich ganz auf meiner seite (siehe zitate am ende).
wie gesagt: ich stimme auch der kritik am buergerlichen staat zu. man muss sich nur ueberlgen wo man anfaengt. heute sind grosse internationale konzerne maechtiger als kleine und mittlere staaten.. es wuerde nichts nuetzten dort den staat zu bekaempfen weil man damit nur die relative macht der konzerne staerken wuerde. (warum sind wir wohl gegen privatisierung oeffentlichen eigentums und fuer verstaatlichung? etc, etc, etc.. ) kurzfristige, mittelfristige und langfristige ziele sollte man nicht verwechseln.
ein kleines gedankenexperiment: angenommen das kleine oesterreich will jetzt die sozialistische arbeiterrepublik ausrufen: aber die konzerne werden sagen: unter diesen umstaenden bauen wir keine fabrik bei euch. unter diesen umstaenden ziehen wir unsere standorte bei euch ab. alle kapitalisten werden ihre gelder ins ausland transferieren noch bevor unser sozialistisches paradies errichtet wurde.. wir stehen alleine da und waeren kaum lebensfaehig.. die bevoelkerung wuerde murren und der traum waere beendet..
jetzt das ganze experiment in einem europaeischen rahmen (eventuell mit einer achse zu den neuen sozialistischen staaten suedamerikas): ein internationaler konzern wird nicht so leicht auf hunderte millionen konsumenten verzichten wollen.. die werden wohl oder uebel unsere auflagen schlucken muessen.. und wenn sie es nicht tun wollen ist europa gross genug um in wesentlichen bereichen autark zu sein.. auch wenn die ganze sache nach wie vor utopisch klingt ist das szenario schon wesentlich realistischer.
aber mir scheint dass es vielen kommunistInnen nicht darum geht sich ueber konkrete veraenderungsszenarien gedanken zu machen (damit meine ich jetzt nicht dich) sondern man schwebt viel lieber in nostalgie und der selbstbestaetigten gewissheit dass man alles ja eigentlich viel besser wuesste wie es gehen wuerde... fuer mich ist es aber wesentlich den weg wie wir von A nach B kommen immer mitzudenken... ich will meinen lebensabend nicht in einer kapitalistischen diktatur verbringen. und wir sind leider momentan am besten wege dorthin...
hier die mail die ich vor einigen wochen ausgesendet habe:
hab jetzt nochmal einwenig marx-engles suche betrieben hier ein paar stellen wo sich die beiden fuer zentralisierung und gegen lokalisierung aussprechen:
Schon die Bourgeoisie arbeitet durch ihre Industrie, ihren Handel, ihre politischen Institutionen darauf hin, überall die kleinen, abgeschlossenen, nur für sich lebenden Lokalitäten aus ihrer Vereinzelung herauszureißen, sie miteinander in Verbindung zu bringen, ihre Interessen miteinander zu verschmelzen, ihren lokalen Gesichtskreis zu erweitern, ihre lokalen Gebräuche, Trachten und Anschauungsweisen zu vernichten und aus den vielen bisher voneinander unabhängigen Lokalitäten und Provinzen eine große Nation mit gemeinsamen Interessen, Sitten und Anschauungen zu bilden. Schon die Bourgeoisie zentralisiert bedeutend. Das Proletariat, weit entfernt davon, hierdurch benachteiligt zu sein, wird vielmehr erst durch diese Zentralisation in den Stand gesetzt, sich zu vereinigen, sich als Klasse zu fühlen, sich in der Demokratie eine angemessene politische Anschauungsweise anzueignen und endlich die Bourgeoisie zu besiegen. Das demokratische Proletariat hat nicht nur die Zentralisation, wie sie durch die Bourgeoisie begonnen ist, nötig, sondern es wird sie sogar noch viel weiter durchführen müssen. Während der kurzen Zeit, in der das Proletariat in der französischen Revolution am Staatsruder saß, während der Herrschaft der Bergpartei, hat es die Zentralisation mit allen Mitteln, mit Kartätschen und der Guillotine durchgesetzt. Das demokratische Proletariat, wenn es jetzt wieder zur Herrschaft kommt, wird nicht nur jedes Land für sich, sondern sogar alle zivilisierten Länder zusammen so bald wie möglich zentralisieren müssen.
Friedrich Engels, Der Schweizer Bürgerkrieg Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 4, S 397
hans hautmann zitiert im "vademekum" seite 217 einen briefwechsel von engels und marx:
engels musste sich eingestehen, dass die demokratische volksbewegung zu schwach war, um eine verpreussung deutschlands zu verhindern. am 25. juli 1866 schrieb engels an marx:
"die geschichte in deutschland scheint mir jetzt ziemlich einfach. von dem augenblick an, wo bismarck den kleindeutschen bourgeoisplan mit der preussischen armee und so kolossalem skuzess durchfuehrte, hat die entwicklung in deutschland diese richtung so entschieden genommen, dass wir ebensogut wie andere das fait accompli (vollendete tatsachen) anerkennen muessen, we may like it or not.
die sache hat das gute dass sie die situation vereinfacht... die ganze kleinstaaterei wird in die bewegung hineingerissen, die schlimsten lokalisierenden einfluesse hoeren auf, und die partein werden endlich wirklich nationale, statt bloss lokale"
marx pflichte dem bei, als er antwortete:
"fuer die arbeiter ist natuerlich alles guenstig, was die bourgeoisie zentralisiert"
wir haben hier, denke ich eine sehr gute analogie zu den verhaeltnissen heute.. fuer marx und engles war der preussische staat alles andere als wuenschenswert aber selbst da war ihnen der zentralisierungseffekt sehr willkommen..
ich glaube man muss auch nicht darauf hinweisen wie sehr marx auf internationalismus wert gelegt haben.. z.b.
in der "kritik des gothaer programms":
Es versteht sich ganz von selbst, daß, um überhaupt kämpfen zu können, die Arbeiterklasse sich bei sich zu Haus organisieren muß als Klasse, und daß das Inland der unmittelbare Schauplatz ihres Kampfs. Insofern ist ihr Klassenkampf, nicht dem Inhalt, sondern, wie das "Kommunistische Manifest" sagt, "der Form nach" national. Aber der "Rahmen des heutigen nationalen Staats", z.B. des Deutschen Reichs, steht selbst wieder ökonomisch "im Rahmen des Weltmarkts", politisch "im Rahmen des Staatensystems". Der erste beste Kaufmann weiß, daß der deutsche Handel zugleich ausländischer Handel ist, und die Größe des Herrn Bismarck besteht ja eben in seiner Art internationaler Politik.
Und worauf reduziert die deutsche Arbeiterpartei ihren Internationalismus? Auf das Bewußtsein, daß das Ergebnis ihres Strebens "die internationale Völkerverbrüderung sein wird" - eine dem bürgerlichen Freiheits- und Friedensbund entlehnte Phrase, die als Äquivalent passieren soll für die internationale Verbrüderung der Arbeiterklassen im gemeinschaftlichen Kampf gegen die herrschenden Klassen und ihre Regierungen. Von internationalen Funktionen der deutschen Arbeiterklasse also kein Wort! Und so soll sie ihrer eignen, mit den Bourgeois aller andern Länder bereits gegen sie verbrüderten Bourgeoisie und Herrn Bismarcks internationaler Verschwörungspolitik das Paroli bieten!
In der Tat steht das internationale Bekenntnis des Programms noch unendlich tief unter dem der Freihandelspartei. Auch sie behauptet, das Ergebnis ihres Strebens sei "die internationale Völkerverbrüderung". Sie tut aber auch etwas, um den Handel international zu machen, und begnügt sich keineswegs bei dem Bewußtsein - daß alle Völker bei sich zu Haus Handel treiben.
Die internationale Tätigkeit der Arbeiterklassen hängt in keiner Art von der Existenz der "Internationalen Arbeiterassoziation" ab. Diese war nur der erste Versuch, jener Tätigkeit ein Zentralorgan zu schaffen; ein Versuch, der durch den Anstoß, welchen er gab, von bleibendem Erfolg, aber in seiner ersten historischen Form nach dem Fall der Pariser Kommune nicht länger durchführbar war.
ich frage mich. wenn der rahmen des kampfes schon im jahre 1875 fuer marx zu eng war... was wuerde er dann heute sagen? fuer mich ist der internationalismus ein wichtiger bestandteil von kommunismus. wenn man den leuten erzaehlt dass nationalstaatlichkeit und damit auch nationalismus ein mittel zur loesung von globalen problemen ist dann ist das das rezept dass die extreme rechte den menschen anbietet...
zusammenfassend: ich bin in den meisten punkten die du in deiner mail aufgefuehrt hast grundsaetzlich deiner meinung... blos sie waren nicht zum thema: grosse strukturen oder kleine strukturen politische strurkturen als bessere voraussetzung fuer den kampf gegen den kapitalismus.
lg mond.