Hallo allerseits,
hier ist ein Veranstaltungshinweis. Massenhafte Weiterverbreitung dieser Information und Erscheinen ist ausdrücklich erwünscht.
lg, Rol
--------
Kritik der Psychologie – Das moderne Opium des Volkes
Prof. Dr. Albert Krölls, Hamburg
Uni Wien, Hauptgebäude Hörsaal 32
Montag 14.01.08, 19 Uhr
Die Leistung der psychologischen Weltanschauung, die sie so populär sein lässt, besteht in dem Versprechen der Herrichtung des eigenen Willens hin zu einer Stellung zu sich und der Welt, die von Harmonie geprägt ist. Nach dieser Art Glück streben nicht zufällig Menschen, die in der demokratischen Marktwirtschaft zu Hause sind, die also die ihnen staatlich verliehene Freiheit zur Verfolgung ihrer Lebensinteressen wahrnehmen und dabei andauernd auf die Schranken stoßen, die ihnen die gleichfalls ins Recht gesetzten gegensätzlichen Interessen anderer praktisch aufzeigen.
Die Kunst der Glücksfindung besteht demgemäß darin, die Erwartungen an die Welt an deren harte Realitäten anzupassen und umgekehrt die Anforderungen der sozialen Wirklichkeit als Bewährungsprobe für sich und seine werte Persönlichkeit zu betrachten und in der Erfüllung seiner gesellschaftlichen Pflichten seine Selbstverwirklichung zu suchen. Der psychologisch gebildete Mensch, der seine Niederlagen auf den Kampffeldern des bürgerlichen Lebens nicht den Prinzipien der Konkurrenz-Gesellschaft, sondern sich selbst und seiner mangelnden "Erfolgsfähigkeit" zuschreibt, macht sich geistig frei von der Befassung mit den seine Existenz regierenden ökonomischen und politischen Interessen, für deren Erfolg er als Arbeitnehmer, Erziehungsberechtigter, Zivildienstleistender usw. einzustehen hat. Wer vom Wunsch beseelt ist, von der gesellschaftlichen Umwelt den Wert der eigenen Person bestätigt zu erhalten, ist umgekehrt von einem grundsätzlichen Verständnis für alle Zumutungen erfüllt, die ihm Staat und Ökonomie des demokratischen Kapitalismus auferlegen. Wer sich die psychologische Sichtweise der Welt und seiner dienstbaren Rolle in ihr zu Eigen macht, der entspricht also in idealer Weise dem Anforderungsprofil des demokratisch-kapitalistischen Staatsbürgers. Seine Unterwerfung unter die Zwänge der bürgerlichen Gesellschaft erscheint als Akt der Freiheit, als Verwirklichung gelungener Subjektwerdung.
Die Wissenschaft der Psychologie liefert für dieses Bedürfnis, die kapitalistische Gesellschaft und ihre Einrichtungen als Summe von Chancen und Möglichkeiten für das Subjekt zu betrachten, eine sachadäquate Theorie des Willens. Dieser Theorie zufolge ist der Wille des Menschen keinesfalls das einfache Resultat seiner Überlegungen, Bedürfnisse und Beschlüsse. Vielmehr ist sein Handeln determiniert durch innere und äußere Bedingungen: Triebe, Reiz-Reaktions-Mechanismen, Dispositionen, Verhaltensmuster, Umwelteinflüsse etc. Ihr Wissen um die geheimen Wirkkräfte der Seele gewinnen Psychologen vornehmlich dadurch, dass sie die Handlungen der Subjekte in deren "seelisches Innenleben" reflektieren und das praktische Tun als Äußerung der inneren Möglichkeit dazu bestimmen. So erklären sie auf mustergültig tautologische Weise das Reich der menschlichen Aktivitäten durch ebenso viele gleichnamige Antriebe: den Krieg und andere Gewalttätigkeiten aus einem Aggressionstrieb, die Ausübung von Macht aus dem Machtstreben, die Liebe aus einem Liebestrieb, das Lernen aus der in verschiedenen Quanta auf die Menschen verteilten Lernfähigkeit usw. Die Leistung dieser gedanklichen Operation, das heißt: der Verdopplung jeder Handlung in ihre innere Ermöglichung und ihre äußere Aktualisierung, besteht darin, Bewusstsein, Willen und Verstand grundsätzlich zu Schauplätzen menschlicher Unfreiheit zu erklären.
Mit dieser Bestimmung des Willens als abhängiger Variable eines Ensembles innerer und äußerer Wirkkräfte erteilt die Psychologie dem Menschen jedoch zugleich einen umfassenden Steuerungsauftrag. Derselbe Mensch, eben noch als willenloser Spielball psychischer Impulse definiert, soll nunmehr als Konfliktmanager der widersprüchlichen Ansprüche fungieren, welche seine innere Dispositions- oder Motivationslage und die äußere Welt an ihn erheben. Er soll im Kampf mit sich selbst sein seelisches Gleichgewicht herstellen, ein Programm, das seit Freud unter dem psychologischen Namen einer gelungenen Ich-Bildung bekannt ist. Jedenfalls dazu soll der Rest an Wille und Verstand, den die Psychologie dem Menschen zugesteht, noch zu gebrauchen sein.
Der angebliche Kampf der seelischen Instanzen ist freilich nur die zur inneren Angelegenheit verdrehte Anforderung der Psychologie an den bürgerlichen Menschen, seine Wünsche und Bedürfnisse mit der Realität in Einklang zu bringen, damit sie sich nicht als Enttäuschung oder ausgewachsenes Seelenleiden gegen die Funktionstüchtigkeit des bürgerlichen Subjektes geltend machen. Für diese Anpassungs-Leistung steht das Realitätsprinzip der Seele. Wer den Krieg der seelischen Instanzen bewältigt, ist Realitäts-tauglich: "arbeits- und genussfähig", wie einst Übervater Freud versprach.
Die systematische Darstellung dieses Zusammenhangs zwischen den Erklärungsmustern der psychologischen Weltanschauung und ihrem Gebrauchswert für die kapitalistische Konkurrenzgesellschaft bildet das Leitthema des Vortrags. Im Rahmen eines exemplarischen Durchgangs durch die pluralistische Welt psychologischer Theorien werden die verschiedenen Ansätze darauf hin untersucht, welche besonderen Beiträge sie zum psychologischen Programm der Anpassung des bürgerlichen Konkurrenzsubjektes an seine gesellschaftliche Heimat erbringen, worin ihr politisch-legitimatorischer Gehalt besteht und auf welchen systematischen Fehlern der wissenschaftlichen Theoriebildung diese gesellschaftliche Nützlichkeit gründet.
Albert Krölls Kritik der Psychologie Das moderne Opium des Volkes (2. erweiterte Auflage 2007) VSA-Verlag Hamburg 192 Seiten, 13,80 €