Lieber Mond, lieber KurtO, liebe Leute,
ein paar von uns hatten vor kurzem eine Diskussion über die Vergangenheit des GegenStandpunktes. Es ging unter anderem darum, dass die Vorläuferorganisation, die damalige Marxistische Gruppe (MG) beim 1987er Unistreik die Studis angeblich vom streiken abhalten wollte. Darauf angesprochen, erhielt ich vom H. Auinger ihr damaliges Flugi zum Streik (siehe unten). Ein deja vu befällt einen, wenn man die damaligen Losungen der Streikenden und die Fundamentalkritik der MG liest; und in der studentischen Streikkultur hat sich offenbar seit über 15 Jahren nicht viel geändert.
Sollen wir den Herbert Auinger für Sonntag, den 19. September zu uns einladen? Eventuell schon ab 16 oder 17 Uhr, damit diejenigen die sich partout nicht mit ihm auseinandersetzen wollen, es auch nicht müssen?
LG Roland
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Hallo Streikplenum im Audimax! 1. Wie das demokratische Bildungswesen mit seiner Chancengleichheit funktioniert, müßte euch eigentlich bekannt sein. Ihr habt ja alle Matura und sicherlich bemerkt, daß von den vielen Klassenkameraden, die ihr einmal in der 1. Klasse Volksschule hattet, nur wenige übriggeblieben sind. Der große Rest hat seine Chance gehabt und verpaßt, weil ihr die eure wahrgenommen habt. Daß von eurer Seite keine böse Absicht im Spiel war, ist gerne zugestanden. Ihr habt bloß immer die von der Schule geforderten Leistungen erbracht, die Lehrer haben fleißig verglichen und ihr seid so zu einem staatlichen Reifezeugnis gekommen, das euch zu weitergehenden Studien berechtigt. Wenn ihr die auch noch schafft, nicht unverhofft bei den Studienabbrechern oder ewigen Studenten landet und endlich ein Mag. oder Dr. vor euren Namen setzen dürft: dann habt ihr endgültig die Eintrittserlaubnis für die exklusive Sphäre gehobener Berufe erworben. 2. Ob ihr dort auch auf einem lukrativen Posten gebraucht werdet, das steht freilich auf einem anderen Blatt. Denn auch für diese Sphäre gilt, daß einzig der Bedarf von Staat und Unternehmern die begehrten Arbeitsplätze schafft. Da kann es selbst euch passieren obwohl von jedem bildungshungrigen Jahrgang die große Masse schon längst irgendwo auf der Strecke geblieben ist daß ihr daran gemessen einfach zu viele seid und mit eurem feinen Titel noch lange kein gutes Geld verdient. Aber dennoch herzlichen Glückwunsch! Denn während ihr das für nicht ganz O.K. haltet, machen sich eure aussortierten Jahrgangskollegen schon einige Jährchen als Tippse, Büroangestellter, Verkäuferin, Hilfs- und Facharbeiter und Arbeitslose nützlich. Ihnen bleibt die kleine obere Etage in der Hierarchie der Berufe unwiderruflich verschlossen. 3. Das demokratische Ausbildungswesen ist eben eine sehr relative Sache. Es verteilt die Leute auf gesellschaftliche Positionen, die nach ganz anderen Kriterien eingerichtet sind als nach Graden der Bildung. Die gebotene Chance erschöpft sich darin, an einer Konkurrenz teilnehmen zu dürfen, deren Ergebnis schon vorher feststeht. Die Berufshierarchie wird durch das Bildungswesen nicht umgekrempelt, sondern mit entsprechendem Nachwuchs versorgt; versteht sich, daß eine ganze Generation von Promovierten das letzte ist, was die demokratische Klassengesellschaft braucht und ihr Bildungssystem liefert. Apropos Klassen! Daß sich Arbeiterkinder auf Universitäten finden, gilt ja manchen als endgültiger Beweis, daß von Klassen keine Rede mehr sein kann. Das ist einerseits apologetisch, weil die Feier der sozialen Mobilität ja die Existenz der Klassen, die mit ihr geleugnet werden soll, ganz selbstverständlich voraussetzt. Andererseits können wir gar nichts Revolutionäres daran entdecken, daß einigen der individuelle Klassenwechsel gelingt. Das Arbeiterkind Dr. Vranitzky ist dafür ein feines Beispiel. 4. Der Gegensatz von Arm & Reich wird durch Bildungsveranstaltungen nicht angekratzt, sondern mit ihren Ergebnissen bedient. Die wenigen, die es geschafft haben, machen sich an gehobener Stelle in Staat und Wirtschaft um seine Aufrechterhaltung verdient; die Masse der anderen hat ihn auszuhalten. Das macht die Solidarität der Studenten mit Arbeitern, Hausfrauen, Lehrlingen ... zu einer sehr gedankenlosen Angelegenheit. Immerhin habt ihr ja ein gutes Stück Weg zur Sonnenseite dieser Gesellschaft schon hinter euch, manche Hürde genommen, deren Nichtbewältigung die eine auf Hausfrau, den anderen auf Lehrling festgelegt hat und den allermeisten die Chance eröffnet, fremdes Eigentum als Arbeiter zu vermehren. Warum beruft ihr euch ausgerechnet auf die, von denen ihr euch durch eure bisherige Bildungskarriere schon zielstrebig geschieden habt? Es ist doch pure Heuchelei, wenn ihr euch wegen ein paar Schwierigkeiten, die der Staat euch beim angestrebten nächsten Karriereschritt in den Weg legt, in die große Schar Betroffener einreiht, die es schlimm erwischt hat. 5. Schon euer Protest und das Gehör, das ihr mit ihm bei der Regierung findet, beweisen nämlich das Gegenteil. Der Staat behandelt euch gar nicht wie einen jener gewöhnlichen Sozialfälle, die er massenhaft herstellt und kostensparend verwaltet. Er weiß ja, was er an seinen Universitäten hat: Anstalten, in denen seine gegenwärtige geistige Elite zugange ist und die Nachfolgegeneration ausgebrütet wird. Wenn ihn protestierende Studenten und erst recht solidarische Professoren auf unerträgliche Behinderungen bei der Vollbringung dieses guten Zwecks aufmerksam machen, dann hat er da für durchaus ein offenes Ohr und ist zu Kompromissen geneigt. Aus dieser Sphäre rekrutiert die Politik ja ihren eigenen Nachwuchs, ihre beamteten Vollstrecker, ihre ideologischen Rechtfertiger, ihre naturwissenschaftlich kundigen dienstbaren Geister. Deshalb versteht sich die Politik hier, bei allem Achten auf die Finanzen, auf eine Großzügigkeit, die ihr bei Arbeitslosen, Rentnern, Stahlarbeitern völlig fremd ist. Hier herrscht, ganz im Gegensatz zu den anderen Bereichen, tatsächlich eine gewisse Übereinstimmung im Zweck, die allein der matten Waffe Studentenstreik ihre Teilerfolge eingebracht hat. Mit einem Studentenstreik läßt sich eben nur das erkämpfen, was der Staat aus seinen Erwägungen heraus für machbar bis wünschenswert hält. 6. Damit ist auch klar, wozu die Bestreikung der Ausbildung, auf deren Absolvierung man ja wegen Karriere scharf ist, ganz sicher gar nichts taugt. Das Belastungspaket läßt sich damit genausowenig kippen wie das Prinzip unserer feinen Marktwirtschaft: Die Armen werden ärmer, die Reichen werden reicher. Da müßt ihr euch schon entscheiden. Entweder ihr meint, wer es schon bis zum Studenten gebracht hat, verdient es nicht, daß seiner weiteren Karriere noch Hindernisse in den Weg gelegt werden dann könnt ihr mit fortschrittlichem Elitebewußtsein euren Weg nach oben weiterhin mit einem Herz für sozial Schwache begleiten. Oder ihr macht euch einmal klar, woher die vielen sozial Schwachen immerzu kommen. Was es also mit dem Reichtum und der zu seiner Produktion notwendigen Armut auf sich hat und welche Rolle die Intelligenzija für beides spielt. Dann müßtet ihr freilich damit aufhören, als Studenten, als künftige Träger höherer Verantwortung für diese Gesellschaft, Protest gegen die staatliche Vernachlässigung eurer Eliteperspektive anzumelden.
In diesem Sinne eure Marxistische Gruppe (MG)