Liebe Leute,
am Dienstag, den 19.12.06 wird es ab 19.30. Uhr im Cafe 7stern (1070 Wien, Siebensterng. 31) einen Kapitallesekreis geben, veranstaltet von der Gruppe Gegenargumente (www.gegenargumente.at). Im Unterschied zu anderen Lesekreisen, wird er als Art Blocktermin gestaltet werden, weswegen er auch für Leute, die nicht regelmäßig kommen können oder außerhalb Wiens wohnen interessant sein dürfte. D. h., es wird diesmal der gesamte erste Abschnitt behandelt werden. Es ist keine Bedingung, aber es empiehlt sich daher, die ersten hundert Seiten vorher zu lesen. Als Datei angehängt findet Ihr den Originaleinleitungstext des Referenten, die Lohnarbeit betreffend (inklusiver kursiver Schrift, die in diesem Mail aus technischen Gründen verloren gehen).
liegrü Roland
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Betreff: Das Kapital Lese- und Studierkreis im Cafe Siebenstern, 1070 Wien, Siebensterngasse 31 Beginn: 19.12. 2006 um 19:30
Die Behauptungen des Karl Marx, die Lohnarbeit betreffend
1. Die Abkürzung "v" steht in der Kritik der politischen Ökonomie für variables Kapital. Also für einen Teil des Wertes, der von Kapitalisten (heute: Industrielle, Arbeitgeber, Investoren, Unternehmer ...) in Geldform angelegt wird, damit er sich vermehrt (heute: sich die Investition rentiert, der Betrieb schwarze Zahlen schreibt, die Bilanz einen Gewinn ausweist ... ). Dieser Teil des Kapitalvorschusses zeichnet sich gegenüber dem constanten Kapital "c" dadurch aus, dass er seine Größe und damit die der ganzen für den Betrieb ausgelegten Summe verändert. Diese Eigenschaft, sich zu vermehren, ist natürlich nicht die der Geldsumme, sondern der mit ihr gekauften Ware; die Arbeitskraft, die da bezahlt wird, betritt in Gestalt eines Arbeiters (heute: Mit-/-In) das Unternehmen, und die von ihm verrichtete Arbeit bringt unter Anwendung der Arbeitsmittel und -gegenstände, die das "c" repräsentieren, Produkte hervor; diese bringen beim Verkauf durch ihren rechtmäßigen Eigentümer mehr Geld ein, als die Elemente des Produktionsprozesses gekostet haben. Der Grund für diesen als Zweck der freien Marktwirtschaft allgemein anerkannten Regelfall des Wachstums liegt laut Marx darin, dass die Arbeit Produkte hervorbringt, deren eigentümlicher Gebrauchswert darin besteht, zu Geld zu werden, dass sie also Wert schafft. Und zwar mehr, als die Bezahlung der Arbeitskraft ihren Anwender gekostet hat.
2. Diese Wirkung von "v" wird durch die Bezahlung der Arbeitskraft auf der einen Seite, durch ihren entsprechenden Einsatz auf der anderen gesichert. Denn aus dem Verhältnis der Kosten, die der Lohn darstellt, zu dem Wert, den die Arbeit mit den zum Verkauf bestimmten Produkten hervorbringt, ergibt sich der Überschuss "m" (Mehrwert), auf den es ankommt. Dabei ist nicht zu übersehen, dass die dem Arbeiter überlassene Lohnsumme, von der er seinen Lebensunterhalt bestreitet, erst einmal mit seiner Arbeit und ihrem Ertrag nichts zu tun hat. Also werden sie, um aus der Arbeitskraft variables Kapital zu machen, aufeinander bezogen. Im Preis der Arbeit wird der Kauf der Arbeitskraft mit der Bedingung versehen, dass ihre Anwendung die Mehrung des Kapitals bewirkt. Der Arbeitslohn entgilt den Wert der Ware Arbeitskraft, damit der Lohnarbeiter produktive, eben Mehrwert schaffende Arbeit verrichtet. Diese beruht zwar stets auf der Produktivität der Arbeit, die mit der Leistung des Arbeiters und den angewandten Arbeitsmitteln wechselt, definiert sich aber durch "Produktivität" des Kapitals, d.h. modern, danach, wie rentabel die Bezahlung von Arbeit ausfällt.
Das Bezahlen von Arbeit dient also der Herstellung der Rentabilität, indem ein Maßverhältnis zwischen den Leistungen des Arbeiters und seinem Entgelt aufgemacht wird. Diese Zweckbestimmung des Arbeitslohnes ist im Kapitalismus ebenso geläufig, wie sie dauernd geleugnet wird. Einmal eingeführt, gilt die Veranstaltung "Geld für Leistung" als eine sinnreiche Erfindung zur Ermittlung dessen, was einem Lohnarbeiter gerechterweise zusteht.
3. Marx hat die Indienstnahme der Arbeit für die Erzeugung von "m" "Ausbeutung" genannt, die Steigerung der Exploitationsrate m/v als das Geschäftsmittel kritisiert, durch das die Eigentümer von Kapital ihr Recht auf Gewinn aus ihrem Vermögen durchsetzen.
Das hat schon zu seiner Zeit die Liebhaber des Kapitalismus nicht ruhen lassen, weil sie diese Art von sozialer Anklage unter Verbot stellen wollten. Ihren praktischen Maßnahmen gegen die aufkommende Arbeiterbewegung stellten sie die theoretische Zurückweisung zur Seite; und die Argumente, die da zustande kamen, waren so modern, dass sie heute noch für brauchbar erachtet werden. Und einige "Missverständnisse" der "Lehre" von Marx haben sogar Eingang gefunden in die Arbeiterbewegung und nicht unwesentlich zu deren Ruin beigetragen - was heute freilich als ihr erfolgreicher Einstieg in die (politische) Mitgestaltung des Kapitalismus geschätzt wird.
a) Die "Ausbeutung", die ihren Begriff in der Mehrwertrate hat, die der Lohnarbeit entspringt, ist keine moralische Vorstellung über einen "ungerechten Lohn". Auch keine Beschwerde darüber, dass die ungerechte Bezahlung von Arbeitern vom Fehlen der Ideale "Freiheit und Gleichheit" in der Welt des Privateigentums zeuge.
b) "Ausbeutung" bezeichnet schlicht das Produktionsverhältnis von Kapital und Lohnarbeit; die Eigentümer von Kapital resp. Arbeit sind frei und gleich - diese rechtlichen Verhältnisse stellen auch keine Werte dar, die zu verwirklichen wären; sie sind als praktisch definierte Stellung im und zum Staat sehr real. Sie gehören als politische Voraussetzung unbedingt zu besagtem Produktionsverhältnis, an dem nicht irgendwelche rechtlichen Unterschiede, sondern der materielle Gegensatz, die sich ausschließenden Interessen der Klassen der Witz sind.
c) Die "Aneignung unbezahlter fremder Arbeit" ist der vollzogene Zweck des Kapitals - so geht seine Vermehrung und nur so. Einen Antrag auf "gerechte Verteilung" des in Geld gemessenen Reichtums wollte Marx auch und gerade mit dieser Formulierung nicht begründen; er bestand schließlich darauf, dass überhaupt nicht die Arbeit, sondern die Arbeitskraft bezahlt wird; die Form des Arbeitslohns hielt er für die dem Kapitalismus gemäße Weise, die Produktivität der Arbeit in den Dienst von "m" zu stellen - und überhaupt für keinen Grund, die Parole "gerechter Lohn für ein gerechtes Tagwerk" zu wählen.
d) Denn soviel war Marx klar: Wenn die Arbeit dem Zweck gewidmet ist, Wert zu produzieren, der als Geld das Maß des Reichtums ist und die ausschließende Verfügung über ihn garantiert; wenn dieser Reichtum mit den Anstrengungen und der Dauer des Produzierens wächst - die Produktivkräfte der Arbeit also gar nicht für die bequeme Herstellung von reichlich Gebrauchswert und zugunsten der "disposable time" zum Einsatz gelangen -, dann ist die Arbeit selbst nicht mit Reichtum verbunden. Die Lohnarbeiter, die mit ihren Diensten als abhängige Variable der Kapitalvermehrung - modern: der Wirtschaft und ihres Wachstums - verplant sind, haben mit der Produktivität ihrer Arbeit auch die Entscheidung über ihre Subsistenz und das Maß ihres Wohlstands an das Kapital abgetreten, das sie anwendet oder auch nicht.
e) Was schließlich die unzweifelhaft kritische Absicht des Wortes "Ausbeutung" anlangt, ist gegen Marx damals wie heute nur das Dümmste gut genug gewesen, um ihn zurückzuweisen. Gegen die Feststellung, die Lohnarbeiter des Kapitalismus seien inmitten des von ihnen geschaffenen Reichtums darauf festgenagelt, sich als Arbeitskräfte zu erhalten und nicht einmal dazu in der Lage; gegen die Behauptung, dies sei eine notwendige Konsequenz des Produktionsverhältnisses, in dem sie als "v"-Männer so oder anders ruiniert werden, läuft immer nur das einfältigste aller moralischen Gerichtsverfahren: Verglichen mit anderen Kreaturen in niederen Ständen - einst und heute anderswo - stehen sie doch prächtig da! Das Deuten auf Elendsgestalten verrät nicht nur den Maßstab, den man braucht, um den Lohnarbeitern des Kapitals wenigstens ideell zu solidem Wohlstand zu verhelfen. Es "widerlegt" Marx mit einem Verbot, die Fragen zu klären, die zur Kritik am "System" führen: ob, wie und warum die Lohnarbeit bei allem Reichtum, den sie schafft, eigentlich als "Lebensmittel" taugt. Statt die Behauptung aufzustellen, die Menschen vor zweihundert Jahren und in fernen Kolonien seien genau so schlecht daran wie die Arbeiter heute, hat Marx eben dies getan: ermittelt, welche Notwendigkeiten im Kapitalismus herrschen. Um zu entscheiden, was gegen die mannigfaltige Not, die in den Reihen der arbeitenden Klasse auftritt, getan werden kann.
Das Kapital: Lese- und Studierkreis im Cafe Siebenstern, 1070 Wien, Siebensterngasse 31 Beginn: 19.12. 2006 um 19:30
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