hallo,
hier was aktuelles zu den derzeitigen Uniprotesten.
Gruß, R
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"Unsere Uni"?
Ausbildung und Einbildung
1. Es stimmt schon: Den modernen Staaten samt ihrer sog. ‚Wissensgesellschaft’ ist die Ausbildung ihrer Jugend nicht übermäßig viel wert. Um das zu erkennen, muss man nicht erst ein Uni-Studium aufnehmen; es genügt ein Blick ins alljährliche staatliche Budget – oder auch schlicht auf die Schulgebäude, in die Klassen- und Lehrerzimmer und die Bedingungen, unter denen dort gearbeitet wird. Auch z.B. die Zur-Kenntnisnahme der miserablen Gehälter, die Kindergärtner/innen bezahlt bekommen, könnte einen zu der Einsicht anregen, dass die viel gepriesene ‚Zukunftsressource Jugend’ für die marktwirtschaftliche Obrigkeit kein Wert ist, sondern eine Funktion hat. Und dass diese Funktion offensichtlich, im Großen und Ganzen, gewährleistet ist mit der Ausbildung, die junge Menschen hierzulande verpasst bekommen, und den miesen Bedingungen, unter denen sie stattfindet.
2. Studenten wollen das immer wieder gerne anders sehen. Kaum haben sie es auf die Uni geschafft, beklagen sie, dass für diese, ihre Ausbildung doch bitteschön gefälligst mehr Geld von oben da zu sein habe. So überzeugt sind sie von ihrer Wichtigkeit, dass sie für sich fordern, was ihnen für Hauptschüler, Lehrlinge, Hortkinder … nie einfiele: Mehr Zeit, Geld, Lehrpersonal, bessere Ausstattung und Räumlichkeiten etc. Und finden es kein bisschen irritierend, sondern nur allzu angebracht, dass ihnen von weiten Teilen der Öffentlichkeit – in Österreich aktuell von ‚Heute’ bis SPÖ – in diesem elitären Standpunkt recht gegeben wird. Schließlich studieren sie, um Karriere zu machen, nach Möglichkeit gar Führungspositionen in dieser Gesellschaft zu übernehmen, und diese Bedeutsamkeit hätten sie gerne bereits an der Uni vermehrt gewürdigt und entsprechend materiell alimentiert. – Je nach politischer Heimat, Geschlecht o.ä. fügen sie ihrem Protest dann auch noch Forderungen nach anders besetzten Uni-Gremien/Ministerposten, höherer Frauenquote etc. hinzu; das Eigentliche der Beschwerde ist das freilich nicht, macht die Sache aber dann "kreativ" und "bunt".
3. Alle paar Jahre wieder wird aus diesem Verbands- und Stände-Standpunkt eine regelrechte Protestbewegung. An allerlei Universitäten gleichzeitig wird beklagt, dass das Studium "zu verschult" sei – eine Klage, die die Hochschulreformen seit Jahrzehnten begleitet und von einer beharrlichen Ignoranz zeugt gegenüber der Tatsache, dass es sich bei den Hochschulen eben um Hochschulen handelt, diese also wesentlich dafür da sind, den gesellschaftlichen Bedarf an Akademikern und den dafür für nötig erachteten Kenntnisstand zu decken. Keinem der Protestierenden scheint es auch je als Widerspruch auffallen zu wollen, dass sie stets gleichzeitig mit ihrer Beschwerde über den Schul- = Ausbildungscharakter ihres Studiums für ihre Akademikerlaufbahn "mehr Praxis-Relevanz" einfordern. Sie sind offensichtlich alle davon beseelt, für diese Gesellschaft nützlich sein zu wollen, die ihnen genau diese Ausbildung angedeihen lässt, bilden sich aber ein, diesen Zweck mit "mehr Selbstbestimmung" besser erfüllen zu können.
4. Diese grundsätzlich positive, Gesellschaft und Hochschulwesen affirmierende Haltung lässt auch die Kritik an den Lehrinhalten, die an den Unis geboten werden, so kläglich ausfallen. Über die Forderung nach "Ausbau kritischer und emanzipatorischer Forschung und Lehre" ("Forderungskatalog Unsere Uni") bzw. den Befund, dass dieses und jenes im jeweiligen Fach "zu wenig vertreten" sei, geht diese Art von ‚Einwänden’ doch nie hinaus. Wo ist das – angeblich so wichtige und auf Gelegenheiten zur Darbietung wartende – "selbst produzierte Wissen", das den Nachweis führt, was falsch ist an dem, was an diesen Unis gelehrt wird?! Wo bleibt sie, die Kritik an den gesellschaftlichen und ökonomischen Zwecken, für die hierzulande ausgebildet wird?! Immerzu zu sagen, man sei gegen die "Unterordnung der Wissenschaft" unter die "Verwertungslogik von Wirtschaft und Politik", aber das dann nur an Studiendauer und Prüfungsbedingungen festmachen zu wollen, ist schon ziemlich armselig!
5. Aktuell entzündet sich der Uni-Protest am ‚Bologna-Prozess’. Der hat in der Tat das Studieren um einiges ungemütlicher gemacht, und das war auch so bezweckt. Ein "einheitlicher europäischer Hochschulraum" sollte und soll nach dem Willen der beteiligten Staaten entstehen, um, erklärtermaßen, "die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen". Innerhalb Europas, aber "auch", so kann man es auf der Homepage des Wissenschaftsministeriums nachlesen, zwecks "Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen gegenüber dem amerikanischen und dem asiatischen Raum". Fällt euch da nicht wenigstens ein wenig auf, wie naiv und weltfremd euer Gerede von "unserer Uni" ist?! Und welche Funktion euch und "euren" Unis hier zugedacht ist?!
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Unser Vorschlag daher: Hört auf damit, über die Verbesserung dieser Hochschulen, die gar nicht die ‚euren’ sind, zu palavern! Und wer wirklich grundsätzlich etwas verändern will an dieser Gesellschaft und dafür Wissen haben will – statt staatlicher Ausbildung für die erhöhte Konkurrenzfähigkeit Österreichs, Deutschlands oder Europas –, der/die sollte sich lieber mal mit den Grundprinzipien der Marktwirtschaft vertraut machen – z.B. hier:
Wie funktioniert der Kapitalismus? Gast-Referent: Prof. Dr. Egbert Dozekal, Frankfurt/Main 14.12.09 um 19:00 an der Uni Wien, Hauptgebäude, Hörsaal 28
www.gegenargumente.at www.gegenstandpunkt.com