Hallo,
unten findet Ihr den Winterberg-Brief und ganz unten eine Antwort. Bitte um Reaktionen. Nora meint, dass wir uns das gar nicht antun brauchen, aber eine Chance sollten wir dem alten Genossen und Überlebenden des KZ Buchenwald geben, oder?
Die Veranstaltung am 4. 11. hört sich gut an. Da sitzt auch der Stefan Apfel vom Falter drauf!? Ich bin verwundert. Hat der Falter unseren Leserbrief abgedruckt? Und wer ist das neue Mitglied Sebastian? Auf diesem Weg ein Hallo an ihn. Verzeiht meine Neugier.
LG Roland
--------
Walter Winterberg: Ein notwendiger Brief
02.10.2004, 21:01 Beitrag von: lotte Angezeigt: 95 Lieber Genosse "Dogma", ich habe Deine Internet-Aussendung auf http/god (soll wohl nicht "Gott" heißen?) gelesen und bin etwas erstaunt ob der Sprache und des Inhalts. Alle, die auch nur andeutungsweise nicht so denken wie Gen. Baier und his master's voices, sind natürlich "stalinistisch-reaktionär", eh klar. Wenn mir nur einmal einer von euch wirklich erklären könnte, was er darunter versteht, wäre ich sehr dankbar. Aber für euch gibt es offenbar dazu nichts zu erklären und nichts zu diskutieren. Es gibt absolut keine "Pluralität der Meinungen" innerhalb der KPÖ. Basta. Oder fehlt es euch vielleicht an historischem Wissen?
Ich bin ganz Deiner Meinung, dass es in der heutigen Welt noch viele Reaktionäre an den Machthebeln in verschiedenen Ländern, in Regierungen, politischen und religiösen Organisationen gibt. Sie alle sind nicht deswegen meine Freunde, weil sie heute (vielleicht morgen nicht mehr, wer weiß?) die USA und Israel nicht lieben oder vielleicht sogar zutiefst hassen. Aber wir können nichts dafür, dass auch sie in Gegnerschaft zu ihnen geraten sind und wie wir die regierenden Kreise der USA und Israels als (wie Du schreibst) "imperialistischen Usurpator" betrachten.
Sicherlich gibt es unter ihnen auch Antisemiten, wobei ich mit diesem Ausdruck vorsichtiger umgehen möchte als Du, denn so viel ich weiß, sollen die Palästinenser selbst auch Semiten sein. Es gibt ja auch Leute, die der Meinung sind, dass der Rassismus im Nahen Osten eher von den israelischen Politikern praktiziert wird. Wenn man die Situation also, wie Du es tust, vom Gesichtspunkt des "Antisemitismus" her betrachtet, dann könnte man salopp sagen, die hauen sich da unten die Schädel als Semiten gegenseitig genau so ein, wie sich die Christen in Europa Jahrhunderte lang gegenseitig in vielen Kriegen die Schädel eingehauen haben. Aber das kann es doch nicht sein, da muß ja wohl etwas anderes dahinter stecken!
Auch die Religion (ich bin als Kommunist überzeugter Atheist) kann es nicht sein, denn plötzlich verstehen sich auch die bigotten Amerikaner und die europäischen (vor allem die deutschen und österreichischen) Gojim sehr gut mit Scharon und seinen fundamentalistischen Hebräern. Hier sind offenbar andere Ursachen ausschlaggebend. Gibt es nicht Öl in dieser Gegend? Es ist ja kein Geheimnis, dass gerade die Engländer im Laufe der Geschichte an der Schaffung eines anti-arabischen Staates ein nicht geringes (Öl-)strategisches Interesse hatten. Der weit verbreitete europäische Antisemitismus und der daraus resultierende Massenmord, das Leid der Verbliebenen und deren Wunsch nach einem eigenen, "sicheren" Staat kam ihnen da sehr zupass. Dass sie zugleich eine dauernd brennende Lunte legten und in Jordanien unter General Glubb (Glubb-Pascha) die "Arabische Legion" unterhielten, aus deren Reihen dann die ersten Kriegshandlungen gegen den gerade erst erstandenen jüdischen Staat erfolgten, sollte bekannt sein.
Den "stalinistischen" Kommunisten kannst Du aber in dem Zusammenhang keinesfalls den Vorwurf des Antisemitismus machen, denn der Staat Israel verdankte sein Entstehen den drei Stimmen der Sowjetunion, Weißrußlands und der Ukraine in der UNO, ohne die es keine Mehrheit dafür gegeben hätte. Das war vielleicht ein "Fehler" Stalins, den er aber sicherlich nicht gemacht hätte, hätte er wissen können, wie sich dieser Staat entwickeln würde.
Aber so ist es, in der Politik gibt es kein Wenn - Dann. Dann .... na, dann gab und gibt es den andauernden und eskalierenden Krieg. Und daran sind natürlich nur die Palästinenser Schuld! Ein gewisser Ben Gurion, ein wilder Antisemit, sah das jedoch anders: "Wenn ich ein arabischer Staatsmann wäre, würde ich niemals einen Frieden mit Israel unterschreiben. Es ist ganz eindeutig: WIR haben IHR Land geraubt. Es war UNS zwar oft versprochen worden, doch was sollte SIE das kümmern? Unser Gott ist nicht der ihre. Es stimmt, dass wir aus Israel stammen, doch das liegt 2000 Jahre zurück. Warum sollte SIE das interessieren? Es hat den Antisemitismus gegeben, auch den Nationalsozialismus, Hitler, Auschwitz. Doch war das etwa IHRE Schuld? Für sie gilt nur eines: WIR sind gekommen und haben ihnen IHR Land genommen."
Heute (und nicht erst seit heute) fliegen die Bomben. Du findest Selbstmordattentate gegen unschuldige Zivilisten verbrecherisch. Du hast Recht, leider. Dazu Folgendes zum Verständnis, nicht als Entschuldigung: den Palästinensern liefert niemand Flugzeuge, Hubschrauber und Panzer, mit denen sie noch viel mehr Zivilisten umbringen könnten - sie müssen ihre Bomben in Gürteln tragen. Sie haben keine Caterpillar, die unzählige Häuser von Palästinensern im Schutze von Panzern platt walzen. Die Israelis zeigen (wie unsere Medien) ständig schreckliche Bilder von Leichen unschuldiger israelischer Zivilisten - die Leichen der Palästinenser sieht man nie, obwohl ihre Zahl größer ist. Von den Palästinensern fordert man Menschlichkeit - selbst begeht man ebenfalls Verbrechen, wenn nicht schlimmere. Es hängt halt von der Sichtweise ab, - für Zionisten ist alles, was Scharon tut, rechtens, schließlich ist es doch ihr "Heiliges Land" - das noch größer werden soll, wenn es nach den jüdisch-fundamentalistischen Siedlern und den jüdischen Pfaffen geht. Dass die islamischen Pfaffen um kein Haar besser sind, bestreite ich nicht. Wie heißt es bei Heinrich Heine? "...doch es will mich schier bedünken, dass sie alle beide (in diesem Falle der Rabbi und der Mullah) stinken."
Der Unterschied zwischen Dir, lieber Genosse "Dogma", und mir ist, dass Du vorbehaltlos alles verteidigst, was Scharon und seine Ultra-Zionisten tun und dabei mit (fast hätte ich gesagt "alttestamentarischem") Eifer alle, die das nicht tun, als Antisemiten verketzerst, die sich deshalb aus der KPÖ "schleichen" sollen; während ich zum Beispiel stolz auf jene israelischen Genossen bin, die gegen diesen mörderischen Kurs der israelischen Politiker offen auftreten und demonstrieren; und (das soll auch gesagt werden) denen ihr zionistische "Kommunisten" in den Rücken fallt. Gleichzeitig machst Du auch ein bisschen Sympathiewerbung für die USA, die doch gar nicht so "imperialistisch" sind, wie die naiven Stalinisten sagen. Dass es in der arabischen und islamischen Welt Sympathien für die tatsächlich unterdrückten Palästinenser gibt, steht außer Streit, die gibt es auch in Europa und anderswo. Das hat überhaupt nichts zu tun mit den reaktionären islamischen Kreisen, den Saudis und den anderen Scheichs, die ohnehin keinen Finger rühren, um sich der armen proletarischen Teufel unter den Palästinensern anzunehmen. Sie hätten das Geld und auch den politischen Einfluss, um einen Frieden in dieser Region zu erzwingen. Aber das wollen weder sie noch ihre Freunde in den regierenden Kreisen der USA – und das weiß auch Scharon. Und deswegen sind sie euch immer noch lieber. Und dass die diversen islamischen Terroristen ursprünglich von der CIA gegen die Sowjetunion (s. Afghanistan) aufgepäppelt wurden und jetzt im Nahen Osten sowie in Tschetschenien mit mischen, sollte auch Dir bekannt sein.
Zu Deiner Aufforderung, wir von Deinesgleichen als Antisemiten beschimpfte Genossen sollten uns "schleichen", kann ich Dir nur Folgendes sagen: wir hatten früher einmal in unserer Partei viele jüdische Genossen und Genossinnen, die in der Zeit der nazistischen Verfolgung oder Emigration zu uns gekommen waren. Sie waren von uns immer geachtete Mitglieder. 1967 kam es zum Sechstage-Krieg, den die Kommunistischen Parteien im Unterschied zu allen anderen Parteien verurteilten. Und da stellte sich plötzlich heraus, dass bei etlichen von ihnen die religiöse Bindung doch größer war als ihr proletarischer Internationalismus. Es gab nicht wenige emotionale Diskussionen mit ihnen, aber keiner oder keine von ihnen wurden damals aus der Partei ausgeschlossen, sie haben sich (mit Deinen Worten) selbst "geschlichen". Zu dieser Zeit bist Du (vielleicht auch Gen. Baier und andere) vielleicht noch in den Windeln gelegen bzw. in den Kindergarten gegangen.
Wir "stalinistisch-reaktionäre" Genossen haben damals versucht, die (den) eine(n) oder andere(n) mit Geduld zu überzeugen und in der Partei zu halten; ihr aber wollt heute gerade den entgegengesetzten Weg gehen: Wer nicht Eurer Meinung ist, mit dem redet ihr erst gar nicht, der (die) soll sich - eh scho wissen. Wir haben ja ohnehin so viele Mitglieder.
Walter Winterberg
----------
An den Genossen Winterberg,
für den Fall, dass Du ernsthaft an einer Diskussion interessiert bist, erlauben wir uns, ein paar Antworten (und Fragen) anlässlich Deines Briefes an uns zu verfassen.
Zuallererst wollen wir uns für die Untergriffigkeit ("schleichsts euch...") bei Dir und bei allen, die sich angesprochen gefühlt haben, entschuldigen. Diese Entschuldigung gilt aber nur für diese tatsächliche Beleidigung, nicht für den Inhalt unseres Briefes.
Es ist ein bißchen verwunderlich, dass Du uns nicht kennen magst; Du sprichst uns als "Genosse Dogma" an - dabei sind wir die Grundorgansiation Dogma der KPÖ, das hättest Du von unserer Homepage ablesen können. Aber vielleicht kennst Du uns ja wirklich nicht. Sei es wie es sei..
Wir haben keineswegs alle parteiinternen KritikerInnen und speziell die Baier-KritikerInnen als "stalinistisch-reaktionär" abgetan. Auch in unserer GO gibt es zum Teil heftige Meinungunterschiede und auch jede Menge Kritik am "Baier-Flügel". Wir legen aber Wert darauf, Kritik zu üben anstatt Diffamierungen zu verbreiten; welche in letzter Zeit in der Partei von bestimmten Seiten massiv zunehmen. Allerding kam bislang noch kein taugliches analytisches Argument gegen den so genannten Baier-Flügel, dafür jede Menge Untergriffigkeiten.
Es stimmt, dass "stalinistisch" oft als Totschlagargumet verwendet wird. Aber Du weißt selbst, dass der Begriff sehr viel impliziert und ihn man deshalb nicht in ein paar Worten abhandeln kann. Was der Stalinismus genau ist oder was er sein könnte, darüber wird tatsächlich nicht diskutiert.
Ein Festhalten an längst vergangenen Zeiten, die nicht wiederkehren werden, sosehr man sich das auch wünscht, kann als stalinistisch, "ewiggestrig", idealistisch im weitesten Sinn angesehen werden. Wenn man die heutige Zeit mit einem Begriffs- und Theorievokabular aus dem Realsozialismus erklären will, oder wenn pathetische Reden und Erklärungen eine Theoriebildung verhindern, oder wenn der nostalgische Blick auf Vergangenes den Blick auf die Gegenwart verhindert, oder wenn KommunistInnen eine Homepage nach der eingeschläferten Kominform benennen, usw., all das kann als stalinistisch im weitesten Sinn gesehen werden. Aber wie gesagt, der Begriff Stalinismus muss von KommunistInnen inhaltlich gefüllt werden, nur so kann dem bürgerlichen Totalitarismus, worein "Stalinismus" ein zentrale Rolle spielt, begegnet werden.
Und im übrigen ist es auch nicht sehr "pluralistisch" von Dir, wenn wir sofort als "baiertreu" abgetan werden, nur weil wir Deine und Deinesgleichen "ewiggestrige" Meinungen nicht teilen. Wir halten mit unserer Kritik ja nicht hinterm Berg.
Nun zu einigen inhaltlichen Punkten Deines Briefes: Könntest Du bitte einen Kommentar dazu abgeben, was den nun Semiten genau sein sollen? Wir sind in Rassentheorien nicht so versiert, halten diese für falsch; würden das aber trotzdem gerne mal von Dir wissen.
Weiters wäre es interessant zu erfahren, woher das Ben Gurion-Zitat stammt und in welchen Zusammenhang er es gesagt haben soll. Es "beweist" lediglich, dass, wer einen Staat gründen will, den Nationalismus möglichst konsequent und brutal handhaben muss. Wer das nicht macht, wird auch keinen Staat machen können.
Völlig schleierhaft ist uns, wie Du darauf kommst, dass wir etwa Scharon vorbehaltlos verteidigen würden? Das zeigt nur, dass Du von unseren internen Diskussionen und unseren monatlichen Veranstaltungen im 7Stern nichts mitbekommst. Wie sind für eine differenzierte Sicht der Dinge.
Du bedauerst, dass den Palästinensern keine Waffen geliefert werden, was im Übrigen so nicht stimmt. Weil das so ist, "müssen" sich die Armen in Lokalen und Bussen selbst in die Luft sprengen. Würden sie mehr Waffen bekommen, würden sie damit ein Vielfaches an Toten in Discos, Bussen und Pizzerias "produzieren".
Die Selbstmordterroristen und Terroristinnen sind aber keine Unterdrückte die sich nicht anders wehren können, wie Du suggerierst. Es sind Leute die in den Himmel wollen, faschistische FanatikerInnen, die nicht verzweifelt sind, sondern sich sehr wohl und sehr genau vorher überlegen, was sie tun. Solche Leute als FreiheitskämpferInnen zu skizzieren, ist mehr als zynisch. Hier wäre eine differenzierte Sicht mehr als nötig. Aus Deiner Formulierung wird nicht klar, wie Du zum Terror stehst. Von "antiimperialistischer" Seite ist eine derartige Äquidistanz in konkreten Fragen üblich, aber nicht hinnehmbar. Wenn Du obige Skizzierung teilen solltest, kannst Du den Terror auch als solchen nennen! Aber Du und Deine GenossInnen untertstützen sämtliche "antiimperialistische" palästinensische und irakische "Opferverbände"; Hauptsache gegen die USA und Israel. Inhalte interessieren Euch nicht.
Von den Linken und KommunistInnen werden seit Jahrzehnten falsche Bilder über Israel und Palästina verbreitet. Es sind nicht nur die PalästinenserInnen Schuld an dem Konflikt, das hast Du, Genosse Winterberg richtig bemerkt. Aber deren politische Führung und die arabischen Nachbarstaaten von Anfang an und bis zum heutigen Tag. Das Bild der Linken über diesen Konflikt ist schon so lange verkehrt und verdreht, dass man gar nicht mehr auf die Idee kommt, dieses Bild wieder mal von Grund auf einer Reflexion zu unterziehen. Nimm dir z.B. die Lektüre von Jean Amery, der den Antizionismus als "ehrbaren Antisemitismus" charakterisierte, her. Woher stammt Deine Gewißheit, dass Dein Bild über den Konflikt stimmt?
Israel setzt sich gegen solchen Terror zum Teil massiv, aber nachvollziehbar zur Wehr, z.B. in dem es Terrornester mittels Caterpillar plattmacht oder Zäune baut. Du wirst solche Aussagen wahrscheinlich als Propaganda abtun, der wir aufsitzen würden und somit ist die Angelegenheit für Dich erledigt, doch so einfach ist die Sache nicht.
Die PalästinenserInnen werden seit jeher von ihren arabischen "Brüdern" als politische Verschubmasse behandelt; und die lassen sich das seit Jahrzehnten gefallen.
Es ist auch klar, dass die diversen islamistischen Gruppen von den USA aufgepäppelt wurden. Das haben sie mittlerweile als Fehler eingesehen, den sie, so scheints, revidieren wollen. Das ist nicht nur Propaganda, da steckt ein Interessenwandel der USA dahinter. Alles was die USA tut, sofort als Propaganda abzutun, ist falsch, hat aber den "Vorteil", dass man sich eine Analyse erspart. Man braucht sein Weltbild nicht überdenken, in dem die Amis sowiso immer die Bösen sind und kann seine alte "antiimperialistische" Leier ablassen.
Wer setzen uns gerne mit anderen Meinungen auseinander und reden prinzipiell mit allen, darum auch dieses Diskussionsangebot. Wie gesagt, falls Du ernsthaft Interesse daran haben solltest.
Mit Parteigruß KPÖ - Grundorganisation Dogma